02.06.2009

Interview mit Jürgen Creutzig, Präsident CECRA

Der Entscheidungsprozess um die künftige Regelung des Automobilvertriebs in Europa anstelle der noch bis Juni 2010 geltende Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) geht in eine spannende Phase.

Wie berichtet, haben sich die europäischen Händler unisono für eine Verlängerung ausgesprochen. Durch die Kfz-GVO wird gewährleistet, dass die wirtschaftlich überlegenen Automobilhersteller nicht zu viel Macht über den Markt und dessen Gestaltung erhalten. Die Folgen könnten auch für den Verbraucher, beispielsweise in Form von geringeren Auswahlmöglichkeiten, spürbar sein. Ausserdem würden die kleinen und mittelständischen Unternehmen im Kraftfahrzeuggewerbe von dieser Veränderung getroffen werden. Gerade in der momentanen Phase der Finanzkrise müsste man bestrebt sein, Unternehmen zu schützen und ihnen nicht zusätzliche  Belastungen aufzuerlegen, welche existenzvernichtend sein könnten.

AUTO&Wirtschaft: Herr Prof. Creutzig, Sie haben sich bei der letzten Sitzung des CECRA-Vorstandes Ende Februar etwas optimistischer gezeigt, was die Zukunft der Kfz-GVO angeht. Was ist der Grund?
Jürgen Creutzig: In den letzten Wochen haben Ereignisse stattgefunden, die so nicht zu erwarten waren. Die Generaldirektion Wettbewerb will ja bekanntlich keine branchenspezifische GVO mehr ab 1.6.2010, sondern den Autovertrieb unter die zu erneuernde Schirm-GVO packen. Die ist aber nur ein Schwert in den Händen der Hersteller. Das Wort «Händler» oder «Werkstatt» kommt darin nicht vor – man ahnt, welcher Geist darin weht. Das jedenfalls war die Position bis vor kurzem.

Kann man schon von einer veränderten Haltung sprechen?
Dazu ist es noch zu früh. Aber das erste Stoppsignal für die GD Wettbewerb waren offenbar die Antworten der nationalen Regierungen auf den 2008 veröffentlichten Erfahrungsbericht der GD Wettbewerb. 70 Prozent der Regierungen sprachen sich gegen einen ersatzlosen Wegfall der Kfz-GVO und ihre Überführung in die Schirm-GVO aus. Damit hatte die GD offenbar nicht gerechnet. Dabei haben die Regierungen nur das wiedergegeben, was sie auf Grund intensiver Konsultationen mit ihren nationalen Verbänden in Erfahrung gebracht haben.

Im Dezember 2008 fand eine zweite Konsultationsrunde mit den nationalen Regierungen statt. Mit welchem Ergebnis?
Von Interesse ist hier das interne Diskussionspapier, das die GD Wettbewerb dieser sog. ECN Untergruppe Kraftfahrzeuge vorgelegt hat. Zu Recht wurde dort ausgeführt, dass sich die Händler EU-weit für eine Verlängerung der GVO ausgesprochen haben, weil fairer Wettbewerb nur sein kann, wenn es einen Ausgleich der ungleichen Machtverhältnisse zwischen Hersteller und Handel durch diese GVO gibt. Ausserdem stellt die GVO sicher, dass ein Händler mehrere Marken vertreiben kann, was seine Freiheit und Unabhängigkeit stärkt. In dem Papier werden dann vier Optionen vorgestellt, die im weiteren diskutiert werden sollen. Eine fünfte: Überhaupt keine GVO mehr für den Automobilvertrieb wird ausdrücklich abgelehnt.

Welches sind die vier Optionen?
Die erste Option ist die Verlängerung der heutigen GVO, und zwar unverändert. Befremdlich ist, dass dieses Modell von der GD Wettbewerb in ihrem Papier u. a. mit der Begründung abgelehnt wird, dass es die Hersteller daran hindert, flexibel auf Marktveränderungen zu reagieren. Das ist ganz offensichtlich falsch: Dienen doch bestimmte Vorschriften der GVO gerade dem Ziel, den Herstellern die notwendige Flexibilität zu geben. Immerhin kommt der Bericht zu dem Ergebnis, eine unveränderte Verlängerung für eine bestimmte Zeit sei eine angemessene Lösung, weil dann Marktteilnehmer sich hinsichtlich ihrer Investitionen entsprechend einrichten könnten. Die zweite Option ist, die Kfz-GVO auslaufen zu lassen und in die Schirm-GVO zu überführen. Diese empfiehlt der Bericht aber nicht. Die dritte Option ist die zweite Option, verbunden mit kfz-spezifischen Leitlinien. Der Bericht favorisiert diese Lösung und meint, sie würde die Vorteile der Option 1 und 2 kombinieren. Eingeräumt wird, dass diese Option keine Kontinuität wie Option 1 bringt. Option 4 wird als «Mini-GVO» beschrieben: Sie würde einige der heutigen Vorschriften enthalten, z.B. Parallelhandel, Standortklausel, Trennung von Verkauf und Kundendienst, Zugang zu technischen Informationen, Zugang zu anderen Kanälen des Ersatzteilvertriebs. Diese Option wird aber nicht favorisiert.

Das hört sich ermutigend an. Gibt es weitere Aktivitäten?
Ja, von besonderer Bedeutung sind Anfragen, die Mitglieder des Europäischen Parlaments an die Kommission gerichtet haben. Zum Beispiel die Anfrage des deutschen Abgeordneten Dr. Andreas Schwab. Er erkundigte sich nach der Bedeutung der sog. Vertragsrechtlichen Klauseln in der heutigen GVO. Das sind die Kündigungsmodalitäten, die Laufzeiten von Verträgen, die Übertragung der Verträge und das Schiedsverfahren. Diese will die GD Wettbewerb auf jeden Fall abschaffen. Worüber sich die meisten Hersteller – ausser Ford – freuen. Die Antwort der Kommissarin Nellie Kroes auf die Anfrage von Herrn Schwab ist zumindest missverständlich. Danach schützt EU-Wettbewerbsrecht allein den Wettbewerb; der Schutz anderer berechtigter Interessen, z.B. der Schutz schwächerer Vertragsparteien vor dem Missbrauch wirtschaftlicher Abhängigkeit und/oder unfairer Handelspraktiken, sei Zuständigkeit der nationalen Gesetzgeber, ‹in die das Gemeinschaftsrecht gemäss dem Subsidiaritätsprinzip nicht eingreifen darf›. Nach unserem Verständnis verbietet das EU Wettbewerbsrecht gerade den Schutz schwächerer Vertragsparteien nicht. Es liegt in der Entscheidungskompetenz der Kommission, ob sie diese Materie regeln will oder nicht.

Es soll noch weitere parlamentarische Anfragen und Aktivitäten geben.
Der deutsche Abgeordnete Dr. Christoph Konrad und der Engländer Malcolm Harbour fragen die Kommission nach dem Zeitplan für die Neuregelung der GVO, ob es stimmt, dass der Vorschlag der Kommission nicht vor Ende April vorliegen soll. Ich ergänze: Auf Grund zwischenzeitlich erhaltener Informationen wird der Bericht erst im Juni 2009 fertig werden. Weiter wird gefragt, ob die Kommission bestätigen kann, dass es einen überwältigenden Widerstand gegen den Vorschlag ihrer Abteilung gab, die Kfz-GVO abzuschaffen, und dass eine Veröffentlichung erst Ende April viel zu spät ist, um eine ordnungsgemässe Diskussion vor den Neuwahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 zu führen. Die Kommission wird schliesslich gefragt, ob sie zustimmt, dass eine unveränderte Verlängerung für mindestens drei Jahre eine ‹logische und korrekte Entscheidung› darstellt, die von den Europäischen Bürgern unterstützt wird. Die Antwort erwarten wir mit grösstem Interesse. Auch der finnische Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Lasse Lehtinen, hat eine Anfrage an die Kommission, speziell an die Kommissarin für Verbraucherfragen, Frau Magdalena Kuneva, gerichtet. Darin weist er auf den Nutzen der heutigen GVO für den Verbraucher und die Tatsache hin, dass keine einzige Verbraucherorganisation sich über die GVO beschwert habe. Schliesslich erwähnt er, dass die Verbraucherorganisation der Autofahrer FIA, deren grösstes Mitglied der ADAC ist, sich für eine Verlängerung der heutige GVO ausgesprochen habe. Er packt damit ein heisses Eisen an: Die GD Wettbewerb hatte nämlich kurzerhand den FIA von einer Verbraucherorganisation zu einem wirtschaftlichen Unternehmen umfunktioniert – man kann nur spekulieren, ob dies wegen der vorerwähnten Meinung des FIA geschehen ist. Der deutsche Abgeordnete Dr. Ingo Friedrich hat sich in einem persönlichen Brief an Frau Kroes gewandt und eine Verlängerung um zehn Jahre verlangt. Dieselbe Forderung hat der österreichische Abgeordnete Dr. Othmar Karas in einem persönlichen Schreiben an den Präsidenten der Kommission, Herrn José Manuel ­Barroso, erhoben. Das sind nur einige Beispiele. Wir sind sehr froh, dass sich das Parlament wieder einschaltet. Denn die neue GVO, wie immer sie auch aussehen mag, wird erst durch die Zustimmung der gewählten Volksvertreter demokratisch legitimiert!

Frau Kroes hat im Februar 15 Unternehmer der Kfz-Branche aus Europa zu einem Gedankenaustausch eingeladen. Was war das Ergebnis?
Frau Kroes pflegt bei vielen ihrer Aktivitäten einzelne Unternehmer einzuladen und mit ihnen zu sprechen, nachdem sie die Meinungen ihrer Verbände kennen gelernt hat. Es ist also auch in unserem GVO-Fall nichts Aussergewöhnliches. Auffällig war allerdings, wer eingeladen bzw. nicht eingeladen war: Es fehlten Unternehmer aus grossen Produktionsländern wie Deutschland und Spanien, ganz zu schweigen aus den zehn Beitrittsländern, deren Erfahrungen besonders interessant sind. Frau Kroes zeigte sich erfreulich offen für alle denkbaren Lösungen. Sie hat klargemacht, dass sie keine Lösung haben will, die Marktbeteiligten schaden wird. Angesichts der scharfen Krise, in der sich insbesondere unsere Unternehmer befinden, sind dies ermutigende Worte. Sie sucht nun nach Lösungen und findet ­CECRA an ihrer Seite.

Wie sieht die Lösung der CECRA aus?
Wir sind für eine unveränderte Verlängerung der GVO um zehn Jahre. «Unverändert» nicht, weil wir mit allen Klauseln zufrieden wären. Auch wir haben Änderungsbedarf. Ihn melden wir aber erst an, wenn die Kommission generell die Verlängerung beschlossen hat. «Verlängerung um zehn Jahre» bedeutet, dass ausreichend Zeit sein muss für eine intensive Diskussion sowie Zeit genug für Umstellung auf neue Regeln. Damit befinden wir uns ganz auf der Linie der Auffassung der vorerwähnten Abgeordneten des Europäischen Parlaments.

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