02.06.2009.

Exklusives Interview mit Dieter Jermann, Direktor von Pirelli (Europe) S.A. Swiss Market

AUTO&Wirtschaft: Wie lautet das Erfolgsrezept im Reifenbusiness? Dieter Jermann: Grundvoraussetzung sind natürlich Qualitätsprodukte, die bei den unabhängigen Reifentests erfolgreich abschneiden.

Dazu kommt ein gut aufgebautes Händlernetz mit qualitativ hochstehenden Servicestationen und geschultem Personal. Daneben spielt in unserem Business auch eine gute Preis-Positionierung sowie eine jederzeit gute Verfügbarkeit eine zentrale Rolle. Unsere Reifen für den Schweizer Markt beschaffen wir in unseren sechs europäischen Werken in Italien, Deutschland, Spanien, England, Türkei. Und natürlich im neusten Werk in Rumänien, das nur Reifen ab 17 Zoll herstellt. Randdimensionen kommen aber auch aus unseren Produktionsstät­ten in Südamerika und aus den USA, wo nur Reifen ab 20 Zoll aufwärts hergestellt werden.
 
Pirelli-Reifen sind dermassen begehrt, dass es oft Lieferengpässe gibt. Wie lösen Sie dieses Problem für die Schweiz?
Was wir machen, ist ein sehr kurzfristiges Supply-Management mit täglichen Bestellungen. Darum sind wir auf ausgezeichnete interne Beziehungen angewiesen, damit wir schnell an die richtigen Reifen herankommen. Und unsere Mitarbeiter haben ein perfektes Feeling für solche Connections. Viele von ihnen sind Secondos, deren Muttersprache Italienisch ist. Sie pflegen ihre Verbindungen in die Logistikzentrale in Mailand und in die Werke auf vorbildliche Weise.

Wenn Sie die Reifen für die Schweiz gröss­tenteils «just in time» einkaufen, bedeutet dies, dass Pirelli in der Schweiz gar kein grosses Lager hat?
Die Logistik inklusive Lager haben wir an ein versiertes Logistikunternehmen ausgelagert, welches im aargauischen Oftringen ein nagelneues Multifunktionslager besitzt. Dort lagern rund 100‘000 Pirelli-Reifen. Dahinter steckt eine gewaltige Organisation, denn die Saisonabhängigkeit, das komplexe Dimensionsangebot sowie immer grössere Reifendurchmesser stellen die Logistik vor immer neue Herausforderungen. Wir arbeiten mit exakten Eingangs- und Ausgangskontrollen, um mit unserem 24-Stunden-Lieferservice eine hohe Kundenzufriedenheit zu erzielen.

Im Moment dürfte die Logistik allerdings nicht das grösste Problem sein. Viele Reifenhersteller – insbesondere jene mit einem hohen Erstausrüsteranteil – leiden unter der globalen Krise der Automobilhersteller…..
In der Tat weht ein rauer Wind. Da Pirelli jedoch nur rund einen Viertel seiner Produktion als Erstausrüstung liefert, freut es mich sagen zu können, dass unser Ersatzreifengeschäft nach wie vor gut läuft. Die Krise spüren wir allerdings in dem Sinne, dass wir im Moment weniger Lieferengpässe haben als sonst.

Wie sind Sie für eine länger andauernde Krise gewappnet?
In schwierigen Zeiten wie diesen, sind – nebst allen anderen Grundvoraussetzungen –  zwei Faktoren besonders wichtig: Der erste ist die Marke selbst, sprich, ihr Markenwert. Der zweite Faktor heisst Vertrauen. Und zwar innerhalb der Firma, aber auch von Seiten der Kunden und Konsumenten in die Marke. Was den Markenwert angeht, so bin ich sicher, dass wir diesen in den letzten acht Jahren durch kluge Markenaktivitäten stärken konnten. Auch was das Vertrauen angeht, haben wir in dieser Zeit durch gezielte Massnahmen sehr viel gewonnen.

Ist Pirelli Schweiz also für eine längere Wirtschaftskrise gewappnet?
Wir haben auf jeden Fall eine sehr gute Basis und sind parat, falls es noch etwas «enger» wird. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist, dass wir «nur» ein kleines KMU sind. Das macht uns extrem flexibel – wobei Flexibilität ohnehin eine generelle Stärke von Pirelli ist. Ein gutes Beispiel ist unser Stand am diesjährigen Auto-Salon: Innert nur drei Wochen haben wir die Standfläche verdoppelt, als sich unerwartet die Möglichkeit bot. Das meine ich mit Flexibilität! Diese extreme Form von Dynamik kommt von Mailand zu uns herein – und wir setzen das hier Swiss-like um.

Wo genau geschieht die Katalyse der Inputs aus Italien?
Grösstenteils hier, bei mir, an meinem Pult. Ich gebe die Themen dann  angepasst auf unsere Schweizer Verhältnisse an meine Mitarbeiter weiter. Diesen Vorgang betrachte ich als eine meiner Kernaufgaben. Die wichtigsten Voraussetzungen dafür sind natürlich ausgezeichnete Kontakte nach Mailand und ein super Management-Team.

Sie sind also mit Ihrem Management-Team zufrieden?
Mein Ziel war es immer, das beste Management-Team der Schweiz zu haben. Und heute bin ich der Überzeugung, dass dies tatsächlich der Fall ist. Dank dieses ausgezeichneten Teams sind wir in der Lage, auch grosse Herausforderungen zu meistern. Das klingt zwar leicht daher gesagt – doch dahinter steckt so einiges! Mein Führungsstil ist ein kooperativer Teamführungsstil: Ich gebe die Leitplanken vor, hole aber gern das Feedback des Managements ein. Sprich: Das Team wird bei allen Entscheidungen mit einbezogen – das ist ein sehr zentraler Punkt!

Was ist heutzutage die Zielsetzung eines Reifenkonzerns?
Grundsätzlich geht es darum, Profitabilität zu generieren, um morgen Investitionen tätigen zu können. Firmen, denen das in den letzten Jahren gelungen ist, konnten in Forschung und Entwicklung investieren – und genau das zahlt sich jetzt aus. Auch wir verfolgen diese Strategie, wobei wir nach wir vor fleissig in Forschung und Entwicklung investieren – prozentual gesehen mehr als alle unsere Mitbewerber. Und die Entwicklung gibt uns recht: Unsere Produktpalette ist ein absoluter Traum für jede Marketing- und Verkaufsorganisation!

Dazu  kommen dann zahlreiche Brand-Aktivitäten…
Richtig. An erster Stelle steht der Motorsport, mit unserer breiten Präsenz bei WRC, Grand Am, Ferrari Challenge und FIA GT, um nur einige zu nennen. Auch auf dem Fussballfeld sind wir präsent: Pirelli steht in goldenen Lettern auf den Trikots von Inter Mailand und auf denen des FC Basel. Auf die FCB-Partnerschaft bin ich besonders stolz, denn sie ist mein «Baby». Ein weiteres wichtiges imagebildendes Werkzeug ist natürlich «The Cal», der legendäre, limitierte Pirelli-Kalender.
Um effizient und erfolgreich arbeiten zu können, braucht es eine gut organisierte, schlagkräftige Truppe. Wie haben Sie Ihren «Laden» strukturiert? Und welches sind die grössten Stärken von Pirelli Schweiz?
Nüchtern betrachtet sind wir nichts anderes als eine Service-Organisation. Und eine solche braucht klare Spielregeln. Darum habe ich in der Schweiz ein Handbuch betreffend Quality-Management und Organisation eingeführt. Dort drin stehen unsere Spielregeln – und zwar exakt nur die, die es braucht. Nichts Überflüssiges. Jeder bei uns bekommt diese Spielregeln zum Lesen und muss sich fortan daran halten.

Was ist der wichtigste Vorteil dieser vergleichsweise strengen Organisation?
Es macht uns extrem effektiv! Denn wir verlieren keine wertvolle Zeit, indem wir immer wieder aufs neue Prozessfragen diskutieren. Stattdessen nutzen wir die Zeit lieber, um uns ums Wesentliche zu kümmern: ums Geschäft, um unsere Kunden.
Ihr Handbuch eliminiert also Leerläufe. Welches sind die wichtigsten Bereiche, die darin geregelt sind?
Prozesse und Organisation, Strategie und Ziele, Stellvertreterfunktionen, Key-Accounts und Mitarbeitergespräche. Ausserdem einige generelle Richtlinien und «Internal Rules», vor allem in Bezug auf den Umgang mit Kunden und den Umgang untereinander. Das ganze läuft unter dem Motto: «Fit for tomorrow!»

Wie viele Prozesse haben sie definiert und welche?
Nur fünfzehn Das reicht völlig aus. Zu den wichtigsten Prozessen gehören zum Beispiel Kundeninvestitionen, Kundenreklamationen oder die Verkaufsförderung. Schluss­endlich ist es sehr einfach: Wenn sich die Leute an diese Regeln halten, dann läuft es gut. Dieses Buch ist übrigens keine internationale Pirelli-Richtlinie, sondern ein Ding, das wir hier für uns in der Schweiz haben und damit erfolgreich sind.
Dennoch: Ist das System mit dem Qualitäts-Handbuch nicht ein wenig starr?
Keineswegs! Das Wichtigste dabei ist natürlich der KVP – der kontinuierliche Verbesserungsprozess. Dahinter steckt ein Team, das aus Leuten aller Abteilungen zusammengesetzt ist. Das KVP-Team wertet die Dokumentationen der zwölf definierten Prozesse aus und führt bei Bedarf Änderungen ein. Schlussendlich geht es dabei um Qualitätssicherung und –verbesserung.
Was ist die grösste Herausforderung in Ihrem Daily Business?
Dass wir uns auch tatsächlich an diese Abläufe halten! Dazu braucht es von allen Mitarbeitern viel Disziplin und von mir und meiner Beauftragten für Qualitätsmanagement die nötigen Kontrollen. Das Qualitätsmanagement ist eine zentrale Funktion in unserer Unternehmung und ich bin stolz, dass diese bei uns mit Magali Fuchs mit einer starken Persönlichkeit besetzt ist.  Denn unsere wichtigste Aufgabe ist Kundenzufriedenheit. Unser Mission-Statement lautet darum klar:  «Kompetent, persönlich, zuverlässig!»

Wie schwer ist das durchzusetzen?
Es ist so, dass unsere Leute schon sehr gut motiviert sind. Dennoch braucht es manchmal auch ein wenig Druck. Grundsätzlich sind wir jedoch eine äusserst fitte und relativ junge Truppe. Das müssen wir auch sein, denn wenn nur einer oder eine von diesen 34 hinkt, dann merken wir das!
34 Mitarbeiter, das ist ja eine «Mikro-Zelle» im Vergleich zu den weltweit rund 25'000 Pirelli-Angestellten! Welche Rolle spielt Pirelli Schweiz denn in der internationalen Organisation?
Obwohl wir international gesehen sehr klein sind, ist unsere Schweizer Niederlassung so eigenständig wie die grösseren Märkte und nicht unter «Rest of Europe» eingeteilt. Darauf bin ich sehr stolz, denn das gibt uns eine Menge Freiheit und Eigenständigkeit. Übrigens sind wir nicht einfach nur klein, sondern vor allem auch «lean» – also schlank, denn wir haben praktisch alles was nicht mit dem Kerngeschäft zu tun hat ausgelagert, beispielsweise IT, Logistik und HR.
Dafür sind Sie als Handelsorganisation natürlich sehr stark aufs Marketing fokussiert…
Das ist richtig. Die Marketingabteilung wurde in ihrer heutigen Form von mir und unserem heutigen Marketingleiter Giuseppe Pittella aufgebaut. Unser Marketing liefert sozusagen als Zulieferer fertige Dossiers an unsere Verkaufsabteilung, damit die Verkäufer ein Maximum an Zeit haben, um bei den Kunden zu sein. Auch das Pricing ist bei uns der Marketingabteilung angegliedert. Das führt zu marktgerechten Preisen. Diese erfolgreiche Philosophie kommt von der Zentrale.
Wie genau funktioniert dieses Pricing – die Preisgestaltung – bei Pirelli?
Heutzutage ist der Markt extrem in Bewegung. Dieser Dynamik müssen wir auch beim Pricing gerecht werden. Unser wichtigstes Instrument dabei ist ein ausgeklügeltes Excell-Sheet mit exakter Berechnung der Preise und Konditionen im Vergleich mit unseren Mitbewerbern. Oberstes Ziel bei dieser Übung: eine gute Positionierung. Wir investieren viel Zeit, damit unser Sell-out-Preis marktgerecht ist. Denn es ist natürlich entscheidend, ob der Garagist unsere Reifen auch tatsächlich los wird. Wir dürfen mit unseren Preisen also nicht zu hoch gehen. Aber auch nicht zu tief, denn dann besteht die Gefahr, dass der Händler unsere Pneus zu billig verkauft. Das alles ist einfach gesagt, aber kompliziert in der Umsetzung.

Dazu kommen Vergleiche innerhalb des Marktes?
Richtig. Wir untersuchen bei den verschiedenen Wiederverkäufern, ob sie die richtige Marktpositionierung haben. so können wir beurteilen, ob wir unseren Job richtig gemacht haben. Teil der Analyse ist auch, dass wir bestimmte Pirelli-Anbieter im Ausland überwachen und deren Konditionen beim Verkauf in die Schweiz. Denn diese Form von «Graumarkt» ist heute ja legal.

Wie ist der Absatz von Pirelli in der Schweiz grundsätzlich strukturiert?
Gegen 50 Prozent unserer Verkäufe gehen an Fahrzeugimporteure und grosse Wiederverkäufer, welche die Garagenbetriebe bedienen. Die restlichen 40 Prozent gehen an den Reifenhandel. Dies ist der anstrengendere Teil, denn die breite Front von Reifenhändlern muss auch entsprechend aufwändig betreut werden. So gesehen haben wir einen arbeitsintensiven Weg gewählt. Natürlich denken wir auch an den Endkonsumenten, doch die meiste Energie fliesst ins Netzwerk. Denn schliesslich ist es meist der Reifenhändler bzw. der Garagist, der den Endkonsumenten entscheidend bei der Reifenwahl beeinflusst. Wir stimulieren den Reifenkäufer aber auch direkt, zum Beispiel mit unserem P ZERO CLUB, einer Community von Endverbrauchern, die sich stark mit Pirelli identifizieren. Dank der Mitgliedschaft profitieren sie von verschiedenen Vergünstigungen und Aktionen, eine Reifenversicherung inklusive. Derzeit zählen wir über 4400 Mitglieder. Das ist toll, denn wir sind erst vor eineinhalb Jahren gestartet!
Wie oft und wie genau messen Sie den Erfolg von Pirelli Schweiz?
Pirelli Schweiz arbeitet mit Monatsabschluss. Sprich: Anzahl verkaufter Reifen im jeweiligen Monat. Anfang des Monats wird das Ziel festgelegt, dann geht es los: Alle sind fokussiert, möglichst nahe an das Verkaufsziel heranzukommen. Das ist dann intern wie eine Competition, ein Match, den wir gewinnen wollen! Am letzten Abend kann es dann schon mal 22 Uhr werden. Dann bestellen wir gemeinsam eine Pizza und geben alles. Ein wunderbarer Team-Spirit! In neun von zehn Fällen erreichen wir das Ziel dann auch.

Eine solche Teamleistung ist nicht selbstverständlich…
Das ist richtig. Es braucht Leute, die gut sind und auch etwas vertragen können. Wie ich schon sagte: Wir sind eine fitte Mannschaft! Eines ist für mich fundamental wichtig: Ich versuche sämtliche Positionen mit Leuten zu besetzen, die in die Firma passen. Ich will die Besten haben und sie auch weiterbringen.

Zahlen Sie auch die besten Löhne?
Nicht unbedingt. Der Lohn ist nicht die Hauptmotivation bei uns zu arbeiten. Es ist das Pirelli-Virus, das uns zu Sonderleis­tungen antreibt und uns stolz macht.
Zum Schluss noch ein Blick zurück: Wie gut war für Pirelli Schweiz das Jahr 2008?
Das letzte Jahr war für uns ein neues Rekordjahr. Unter anderem dank eines sehr guten Wintergeschäfts, wo wir speziell im High-Performance-Markt mit unserem Spitzenreifen Pirelli «Sottozero» stark expandieren konnten, haben wir alle Zielsetzungen der Zentrale restlos erfüllt – als eines der ganz wenigen Länder der Welt.
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