02.11.2009

Die Kraft der zwei Herzen

Die Schweizerische Studiengesellschaft für Motorbetriebsstoffe SSM organisiert jährlich eine Fachtagung. Dieses Jahr war der Fokus auf den smartesten Fahrzeugantrieb der Zukunft gerichtet. Soll es eine Hybridlösung sein oder werden in Kürze die Fahrzeuge mit rein elektrischem Antrieb fahren? Spannende Fragen, ernüchternde Antworten.

Die Kraft der zwei Herzen

VON ANDREAS SENGER

Die Gesetzgeber schreiben global immer tiefere Schadstoffgrenzwerte und maximale Kohlendioxid-Emissionen vor. Um das Treibhausgas CO2 einzudämmen, werden rigorose Ziele vorgegeben: Bis 2012 will die EU (die Schweiz übernimmt die EU-Richtlinien) den Flottenausstoss auf 130 g/km senken. Längerfristig (bis 2020) soll der Ausstoss der hergestellten Fahrzeuge eines Herstellers im Durchschnitt noch bei 90 g/km liegen (Diskussions-grundlage).
Um diese Ziele erreichen zu können, sind die Automobilhersteller gefordert. Ein mögliches Szenario ist die Optimierung der bekannten Verbrennungsmotoren Otto oder Diesel (oder eine Kombination der beiden Systeme), die Einsetzung von Hybrid- oder Elektrofahrzeugen.
Bei Letzteren haben sich Kunden bereits von den Marketingaussagen gewisser Hersteller und der zum Teil übertriebenen Medienberichterstattung verleiten lassen. Schon auf dem Internationalen Automobilsalon in Genf und vor kurzem an der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt wurden viele Studien/Prototypen von Elektromobilen gezeigt und die Hoffnungen geschürt, dass schon nächstes Jahr einige Serienfahrzeuge zu kaufen sind. Gemäss einer repräsentativen Umfrage des VDA (Verband der Automobilindust­rie) in Deutschland interessiert sich ein Viertel für den Kauf eines Elektrofahrzeuges und wartet aufgrund der Ankündigung des baldigen Angebotes mit einem Neuwagenkauf noch ab. Ausserdem erwarten rund 40% der Befragten eine Reichweite von 250 bis 500 km und stellen sich vor, dass der Mehrpreis – verglichen mit Benzinfahrzeugen – nicht mehr als 3000 Franken betragen wird. Die Schere zwischen technisch möglichem und vom Markt gefordertem könnte nicht weiter auseinander driften.

Politik setzt Leitplanken

Martin Pulfer vom Bundesamt für Energie BFE nannte anlässlich der SSM-Tagung vom 23. September 2009 die Ziele der Eidgenossenschaft: Bis 2015 soll der Durchschnitt des CO2-Ausstos­ses aller verkauften Fahrzeuge in der Schweiz noch 130 g/km betragen. Anhand einer Umweltetikette, welche die bisher gültige Energieetikette ablösen wird, kann der Konsument die Umweltbelastung und den CO2-Ausstoss direkt beim Neuwagenkauf ausmachen. Gleichzeitig sollen finanzielle Anreize geschaffen werden, um verbrauchsgünstige Fahrzeuge  der Energiekategorie A und B mit einem Bonus zu vergünstigen. Die erforderlichen finanziellen Mittel sollen mit einem von vier auf acht Prozent erhöhten Importzoll hereingeholt werden.

Wirrwar auf Gesetzesstufe?

Im Anschluss an diese Ausführung kamen die Vertreter der Hersteller zu Wort. Dr. Klaus-Peter Schindler von Volkswagen zeigte die Schwierigkeit der CO2-Emissionen auf. Obwohl die EU Richtlinien herausgibt, ist es jedem EU-Land freigestellt, Verschärfungen oder Lockerungen in der Steuergesetzgebung umzusetzen. Die länderspezifische Gesetzgebung gleicht hier einem Flickenteppich. In jedem Land kochen unterschiedliche Bonus-/Malussysteme aus den Gesetzesküchen. Für die Hersteller bedeutet dies, das Maximum an Technik zu bezahlbaren Preisen anzubieten. Dabei gilt es ständig abzuwägen, welche Antriebsart die sinnvollste ist, um die länderspezifischen Bedürfnisse abdecken zu können.
Schindler ist wie andere Referenten überzeugt, dass Verbrennungsmotoren noch lange den Hauptteil der Motorisierung bilden werden. Allerdings steigen die Kosten bei einem Euro-VI-Dieselmotor für die Schadstoffreduktion (Partikelfilter, NOx-Speicherkatalysator, SCR-Systeme) überproportional an und betragen aktuell ca. 1/3 der kompletten Motorentwicklungskosten.

Zwischenschritt Hybridantrieb?

Die EU-Richtline 2007/46/EG Artikel 3 Absatz 14 definiert ein Hybridfahrzeug wie folgt: « … Hybridkraftfahrzeug … ein Fahrzeug mit mindestens zwei verschiedenen Energiewandlern und zwei verschiedenen Energiespeichersystemen (im Fahrzeug) zum Zwecke des Fahrzeugantriebs.» (Europäisches Parlament und Rat 2007, S. 5).
Wer sich diese Definition auf der Zunge zergehen lässt, muss feststellen, dass es eigentlich völlig widersinnig ist, ein Fahrzeug mit zwei Energiespeichern und zwei Antriebsmotoren auszu­statten. Zum einen wird der ­nutzbare Raum im Fahrzeug kleiner und zum anderen steigt die Fahrzeugmasse unweigerlich. Im Fahrbetrieb zeigen sich aber die Vorteile der Konstruktion: Dank Rekuperation, also dem Umwandeln von kinetischer Energie ­(Bewegungsenergie) in elektrische Enerige (Speichern in den Akkumulatoren) statt in Wärmeenergie wie bei Radbremsen, kann der Energieverbrauch minimiert werden. Ausserdem kann mit einem hubraumkleineren Verbrennungsmotor gefahren werden, weil der Elektromotor im unteren Drehzahlbereich dank hohem Drehmoment das Fahrleistungsmanko mehr als wettmacht.
Als einzige Anbieter in der jüngsten Zeit haben sich die Firmen Toyota und Honda hervorgetan. Bei Honda werden aktuell der Insight (P1-HEV) und der Civic Hybrid als Hybridfahrzeug angeboten.
Bei Toyota und der Tochterfirma Lexus sieht der Modellmix schon vielversprechender aus. Vom Mittelklassefahrzeug Prius bis zum SUV von Lexus wird eine breite Palette angeboten. Die europäischen, amerikanischen und koreanischen Hersteller haben hier ein immenses Entwicklungsdefizit. Aktuell werden von einigen deutschen Herstellern P1-HEV angeboten. Auch im Nutzfahrzeugsektor, führte Meinrad Signer (Iveco-Motorenforschung) aus, sind Überlegungen im Gange, Hybridsysteme einzuführen.

Problem Batterietechnik

Die beiden Grafiken auf Seite 19 zeigen, wie viel Leistung nötig ist (in Abhängigkeit des Fahrzeuggewichts), und welche Akkumulatoren aktuell am Markt sind. Ein Mittelklassefahrzeug benötigt pro Kilometer Fahrleistung eine Energie von rund 200 Wh (Zahlen VW). Für 100 Kilometer Reichweite müssten also 20 kWh Energie gespeichert werden. Weil nur rund 80 % der Nutzenergie verwendet werden können (Alterung der Batterie = Verlust um 20 %) müsste die Energiespeicherung also etwa 30 kWh betragen. Wenn mit heutiger Batterietechnik (Nickel-Metallhydrid; pro Kilogramm Masse 60 bis 100 Wh Energie) ein Elektrofahrzeug mit 100 km Reichweite auf die Räder gestellt wird, müsste mit einer Zellenmasse von etwa 300 kg und einer Akkumasse von 430 kg gerechnet werden.
Für die von Kunden geforderten 500 km Reichweite ergäbe dies eine Akkumulatormasse von knapp 2,2 Tonnen! Noch ein Vergleichsbeispiel: Für die Reichweite von 150 km wird ein Akku von einer Masse von 300 kg und einem Volumen von 200 Litern erforderlich, welcher in drei Stunden aufgeladen wäre. Dies entspricht einem Dieselvolumen für die gleiche Strecke von 5 Litern.

Geopolitisches Problem

Im Moment sind Nickel-Metallhydridbatterien ausgereift. Ihr Lebensdauerverhalten ist erforscht und der Betrieb gefahrlos. Einzige Krux: Es gibt nur zwei Hersteller in Japan, welche die Akkus im Moment in grösserer Stückzahl herstellen. Lithium-Ionen-Batterien wären dank höherer Energiespeicherung (70 bis 140 Wh/kg) interessanter. Allerdings zeigt sich hier ein grosses Problem: das geringe Vorkommen von Lithium weltweit.
Gemäss Wikipedia kommt das Leichtmetall Lithium nur in 0,006% der Erdkruste vor (Süd- und Nordamerika, Australien und China). In Europa gibt es gar keine Ressourcen. Um für Fahrzeuge grosse Akku-Stückzahlen herzustellen, müssten genügend Rohstoffe zur Verfügung stehen. Weitere negative Punkte für Li-Ionen-Akkus: Bei Consumer-Akkus (Elektronikgeräte) beträgt die Lebensdauer zwei bis vier Jahre und es besteht Brand- oder Explosionsgefahr bei Eindringen in die Zelle. Für Fahrzeuge mit hoher passiver Sicherheit ist dies ein gewichtiger Nachteil.

Dazwischen Plug-in-Hybrid

Ein weiterer Zwischenschritt sind PS-HEV, deren Batterien zu Hause oder unterwegs aufgeladen werden können. Hier gerät die Balance der Ökologie wieder aus der Balance: Auch der aus Schweizer Steckdosen bezogene Strommix ist nicht – wie oft fälschlicherweise angenommen – CO2-neutral. Gemäss Robert Horbaty (Enco AG) wird dank dem liberalisierten Strommarkt etwa 1/3 Strom aus Kohlekraftwerken aus dem Ausland importiert.
Fazit: Es gibt noch viel zu tun in Entwicklung und Forschung. Vollmundige Werbeversprechen für Elektrofahrzeuge sind fehl am Platz.

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