04.09.2009

Kraftakte unter dem Wagen

Die grosse Verbreitung des Frontantriebs hing nicht zuletzt mit der Entwicklung und der Qualitätsverbesserung der benötigten Antriebswellen und ihrer Gelenke zusammen. Zwar wurden gleichlaufende Gelenke schon in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts erfunden, salonfähig wurden sie erst in den 70er-Jahren und die Marktdominanz erfolgte später. Wenn keine speziellen Probleme wie Produktions- oder Materialfehler auftreten, erledigen diese hoch belasteten Teile ihre Arbeit geräuschlos, und seit sie nicht mehr von unvorsichtigen Fahrern mit gesperrten Differenzialen zu Torsionsbrüchen «vergewaltigt» werden, sind sie auch seltener als defektanfällige Teile im Gespräch.

Kraftakte unter dem Wagen

Sollen Kräfte oder Drehmomente radial verschoben werden, müssen Zahnrad- oder Riementriebe eingesetzt werden; ist hingegen die Verschiebung in axialer Richtung vorzusehen, genügen Wellen. Sollen sich die kraftabgebenden und die kraftaufnehmenden Teile gegeneinander bewegen, müssen die Wellen diese Bewegungen ausgleichen. Dies kann wiederum in axialer Richtung durch Schiebestücke und in radialer Richtung durch Gelenke geschehen. Bei den Gelenken wird zwischen Kreuzgelenken, Tripodegelenken und Kugelgelenken unterschieden, wobei alle Typen laufend weiterentwickelt werden. Zudem weisen die verschiedenen Gelenkarten ihre speziellen Eigenschaften auf und können in den Ausführungen mit und ohne Längenausgleich gebaut und eingesetzt werden. Die Beugewinkel der Gelenke ohne Längenausgleich sind grösser als jene bei Gelenken mit Längenausgleich.


Aufgaben von Antriebswellen

Heute werden etwa 64 % aller Autos mit Frontantrieb und ca. 13 % mit Allradantrieb ausgeliefert. Alle diese Fahrzeuge sind an den gelenkten Vorderachsen mit Antriebswellen ausgerüstet. Wesentliche Anforderungen an diese Antriebswellen sind: die zuverlässige Übertragung • des Drehmomentes mit Gleichlauf zwischen Antrieb und Abtrieb, radseitige Beugewinkel bis 50°, • um Lenkbewegungen der angetriebenen Räder bei kleinem Wendekreis zu ermöglichen, differenzialseitige Beugewinkel • um 30°, Verschiebewege in der Gelenkwelle bis 50 mm, um Federungsbewegungen zu ermöglichen und Fluchtversätze auszugleichen, • bestmögliche Schwingungsabkoppelungen zwischen Motor-/Getriebe-Einheit und Fahrwerk/Radaufhängung (Komfortsteigerung), die Auslegung der Gleichlaufgelenkwelle für die gesamte Lebensdauer des Fahrzeugs. Daneben sollten Antriebswellen leicht sein, also mit wenig Masse viel Drehmoment übertragen, was einer immer höheren Leistungsdichte entspricht.


Arten von Antriebswellen

Bei den Antriebswellen wird im automobilen Bereich zwischen den Wellen in Längs- und jenen in Querrichtung unterschieden. Die längs eingebauten Wellen verbinden den Getriebeausgang mit dem Achsantriebseingang, was in der Regel über relativ lange Strecken führt, bei der sich aber die Drehmomente wie auch die Beugewinkel in Grenzen halten. Da im Achsgetriebe Übersetzungsverhältnisse in der Grössenordnung 3.5 bis 5:1 verbaut sind, laufen diese Wellen, welche auch Kardanwellen genannt werden, 3,5- bis 5-mal schneller als die Räder, dafür übertragen sie nur 20 bis 30 % des Raddrehmomentes. Durch die hohen Drehzahlen wirken sich die Fliehkräfte als störende Schwingungen aus. Aus diesem Grund werden die Kardanwellen ausgewuchtet und finden sich auch in zwei- oder dreiteiliger Ausführung. Kardanwellen werden noch heute häufig aus Stahlrohren gefertigt; im Leichtbau existieren sie auch aus Aluminium oder aus Kunststoff bzw. aus Verbundwerkstoffen. Als Gelenke genügen in der Regel Kreuzgelenke, diese wurden lange Zeit auch Kardangelenke genannt. Wahrscheinlich leitet sich der Name Kardanwelle davon ab, dass sich an beiden Enden dieser Welle eben jeweils ein Kardan- oder Kreuzgelenk befindet. 


Kreuzgelenke

Bei einem Kreuzgelenk werden die beiden Wellengabeln durch ein Zapfenkreuz verbunden. Wird das Kreuz in die eine Gabel gesteckt, können von aus sen die in der Regel nadelgelagerten Büchsen eingepresst werden. Heute sind Kreuzgelenke häufig lebensdauergeschmiert. Muss das Drehmoment abgewinkelt übertragen werden, dreht sich die eine Wellengabel kreis-, die andere aber ellipsenförmig. Damit wird klar, dass das abtreibende Ende des Kreuzgelenkes andere Umfangsgeschwindigkeiten aufweist als das antreibende. Die Kinematik ist mit Geschwindigkeitspfeilen im Bild 4 rechts dargestellt. 


Ungleichförmigkeit

Die gleichen Differenzen der Drehwinkel und der Umfangsgeschwindigkeiten, also der Ungleichförmigkeiten, werden im Bild 5 bei unterschiedlichen Einschlagwinkeln exakter verglichen. Wenn kein Winkel eingeschlagen wird, laufen die beiden Gelenkteile identisch und fehlerlos; je grösser jedoch der Winkel wird, desto grösser werden die Abweichungen im eingeschlagenen Winkel, aber eben auch im Verhältnis der Umfangsgeschwindigkeiten. Interessant ist die Phasenverschiebung der Abweichungen. Ist der Differenzwinkel bei ca. 45° am grössten, durchläuft die Umfangsgschwindigkeitskurve gerade die Nulllinie. Vom Winkel Null Grad wird der Differenzwinkel immer grösser, das bedeutet, dass die Eingangswelle immer schneller wird oder eben die Ausgangswelle langsamer. Nach 45° ist das Maximum des Differenzwinkels erreicht und die Eingangswelle wird gegenüber der Ausgangswelle nicht mehr schneller. Geschwindigkeitsgleichstand ist erreicht, beide Gelenkteile drehen einen Moment gleich schnell – aber schon wird der Differenzwinkel kleiner und die Ausgangswelle dreht schneller. Bei 90° haben sich die Winkel angeglichen und genau jetzt hat die Ausgangswelle ihre maximale Geschwindigkeit in Bezug auf die Eingangswelle erreicht und schon wird die Winkeldifferenz auf die andere Seite grösser bzw. gleichen sich die Umfangsgeschwindigkeiten wieder an…
Dieser Ungleichlauf kann durch den Einsatz von zwei Kreuzgelenken eliminiert werden. Werden auf beiden Seiten einer Kardanwelle die Gelenkgabeln in der gleichen Ebene angesetzt, heben sich die Ungleichförmigkeiten zwischen An- und Abtrieb auf. Einzig die dazwischen liegende Welle dreht ungleichmässig. Deshalb sind diese Varianten auch nur bei Gelenkwellen vorzusehen, welche nicht grosse Beugewinkel überbrücken müssen. 


Tripodegelenke

Tripodegelenke haben ihren Namen von der Dreiteilung des Umfanges: Auf einem dreizackigen Stern (Tripode) sind die drei nadelgelagerten Rollen befestigt und drehen in einem Gehäuse. Die Tripodegelenke gehen auf ein Patent der französischen Firma Glaenzer Spicer aus dem Jahre 1960 zurück und liegen auch heute in den meisten Eigenschaften zwischen den Kreuz- und den Kugelgelenken. Heute werden die Tripodegelenke sehr häufig in ihrer verschiebbaren Variante eingesetzt. Damit können nur kleinere Winkel übertragen werden, dabei ist es nicht so wichtig, dass ihr Gleichlauf nicht ganz perfekt stimmt, es fällt mehr ins Gewicht, dass sie nur minimale Verschiebewiderstände für die axiale Verschiebung aufweisen. Kernstück des Gelenkes ist der zentrale, dreizackige Mitnehmer (Tripode). Er trägt radiale Zapfen, auf denen nadelgelagert sphärisch gekrümmte Rollen montiert sind. Der Tripodeteil des Verschiebegelenks ist mit der Welle über ein lösbares Keilnutenprofil verbunden. Beim Festgelenk ist dieser Tripodemitnehmer in einem Gehäuse installiert, welches gleichzeitig den Antriebszapfen trägt. In diese Schale sind drei Schlitze mit kreisförmigem Querschnitt zur Führung der Rollen eingelassen. In entsprechend angebrachten Bahnen können diese Gelenke Drehmomente bei Winkel über 40° übertragen. Häufig werden Tripodegelenke aber in der Verschiebeversion eingesetzt. Diese können aber lediglich Einschlagwinkel von 23° bis 26° verarbeiten, dafür ermöglichen sie Längenänderungen bis 50 mm. Der Einbau dieser Gelenke erfolgt getriebeseitig, da radseitig vor allem durch die grossen Einschlagwinkel auch grosse Gelenkwinkel verlangt werden.


Kugelgelenke

Die Kugelgelenke gelten als die eigentlichen Vertreter der homokinetischen Gelenke (=gleichlaufende Gelenke). Die Bedingung für diese Homokinematik ist jedoch, dass sich die beiden Gelenkteile den Winkel halbieren. Sie werden in der festen und der Verschiebeversion eingesetzt. Die feste Version baut bei Ablenkungswinkeln >45° immer noch sehr kurz. Für die Verschiebeversion hört man in der Schweiz auch häufig den Namen «Topfgelenk», da sich die Kugeln häufig in einem topfförmigen Gehäuse axial bewegen lassen. Kugelgelenke sind schwerer und teurer als Kreuzgelenke, Tripodegelenke liegen auch hier dazwischen. 


Kraftübertragung

Die Kraftübertragung erfolgt über mehrere Kugeln (meistens sechs), welche in entsprechenden Kugelbahnen abrollen. Diese Kugelgelenke, welche heute zu etwa 90% eingebaut werden, verfügen über einen Beugewinkel von 47°. Kugelfestgelenke bestehen aus einer Nabe, den Kugeln, dem Käfig und dem Gehäuse. Sowohl in der Nabe wie im Gehäuse sind die Kugelbahnen eingefräst. Dabei sind die Mittelpunkte der Radien der Kugellaufbahnen von Nabe und Gehäuse um die gleichen Beträge in Gegenseite versetzt (vgl. Bild 8 Festgelenk links: r und R). Dieser Mittelpunktversatz wird Offset genannt und ermöglicht den Gleichlauf im Gelenk. Die Bahnformen können auf die Eigenschaften der Kugelgelenke grossen Einfluss nehmen. Während das ursprüngliche Kugelgelenk, welches nach seinem Erfinder auch Rzeppa-Gelenk genannt wird, eine kreisförmige Bahn aufwies, wurde in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Bahnauslauf gerade gestaltet. Durch Änderung der Kugelposition konnte dadurch der Beugewinkel auf 50° vergrössert werden. Auch eine nach aussen hin öffnende Bahn wurde vorgeschlagen. Sie sollte Winkel >50° ermöglichen, dabei verschlechterten sich jedoch die Reibeigenschaften. «countertrack»-Gelenke Kurz nach Rzeppa wurde von Amberg (1940) ein Gelenkkonzept entwickelt, bei welchem die Bahnpaarungen in unterschiedliche axiale Richtungen geöffnet wurden. Das heisst, dass die Radien in Nabe und Gehäuse so gewählt wurden, dass eine Kugelbahn in Richtung Nabe (Antriebswelle) erweitert wurde, die nächste Bahn dagegen in Richtung Gehäuse. Der Vorteil dieser Konzeption war die Aufhebung der axialen Kräfte, dagegen waren nur geringe Beugewinkel möglich. An dieses Ge- Bild 10. Ein Gelenk nach der neuen Konstruktion. Da der Längenausgleich (noch) nicht integriert ist, wird er über kugelgelagerte Verschiebewellen hergestellt. Bild: GKN genbahn-Konzept erinnerte man sich wieder, und in den vergangenen Jahren kam es zu vereinzelten Einsätzen in Fahrzeugen, bei denen eine extrem hohe Leistungsdichte bzw. ein sehr kleiner Raumbedarf des Gelenkes entscheidend war. Die Längenverschiebung musste bei dieser Gelenkwelle auf eine spezielle Art gelöst werden (Bild 10). Durch einen grossen Entwicklungsaufwand bei der Optimierung der Kugelbahnen ist es in der Zwischenzeit gelungen, dieses Gelenkkonzept auch auf Beugewinkel >50° zu heben und sie damit als Alternative am Markt anzubieten. Die Vorteile der neuen Countertrack- Gelenke sind gemäss den Angaben von GKN Driveline Driveshaft geringere Verluste und die höhere Leistungsdichte, also der kleinere Raumbedarf bei gleicher Drehmomentübertragung. Auch auf dem Gebiet der Antriebswellen wurden in den vergangenen Jahrzehnten grosse Fortschritte erreicht. Leider sieht man in der Praxis auch beim Zerlegen von Gelenken kaum etwas, da die Fortschritte an den Kugelbahnen ein geschultes Auge verlangen, um erkannt zu werden.

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