03.09.2009

Auf leisen Sohlen

In den vergangenen Jahren sind die Räder der Autos zunehmend grösser geworden. Nicht zuletzt durch steigende Motorleistungen mussten grösser dimensionierte Bremsanlagen in den Radschüsseln Platz finden und belüftet werden, und das brauchte Platz. Damit die Radumfänge nicht proportional mit wuchsen, mussten die Querschnittsverhältnisse verkleinert werden, und um die sportliche Note zu wahren, wurden die Reifen auch immer breiter.

Auf leisen Sohlen

Als Sportwagen wurde vor gut 40 Jahren ein Porsche 911 mit Reifen der Dimension 165 HR 15 ausgeliefert, 10 Jahre später war er mit Niederquerschnittreifen der Dimension 185/70VR15 bestückt, wobei die Carrera-Version an der Hinterachse mit 215/60R15 bereits unterschiedlich bereift wurde. 1995 waren an den vorderen Rädern 205/55ZR16 oder 225/50ZR17 erhältlich (hinten 245/45ZR16 bzw. 255/40ZR/17), also auf Wunsch konnten also auch grössere Räder (Felgen) geordert werden. Heute liegen die Dimensionen im ähnlichen Rahmen (vorne: 235/40R18, hinten: 265/40R18). Im Sportwagensektor sind also verschiedene Reifendimensionen zwischen Vorder- und Hinterachse durchaus üblich; Grossvolumenfahrzeuge werden dagegen normalerweise mit vier gleich dimensionierten Rädern ausgerüstet.


Anforderungen


Die Anforderungen an einen Reifen können in vier Gruppen eingeteilt werden:
• aktive Sicherheit
• Wirtschaftlichkeit
• Umweltfreundlichkeit
• Komfort

Dabei teilen sich manche Anforderungen oder Eigenschaften von Reifen in verschiedene Gruppen auf: Die Fahrstabilität und die Lenkpräzision, das Bremsen nass und das Aquaplaning gehen sicher in die Gruppe der aktiven Sicherheit. Der Rollwiderstand, die Lebenserwartung und die Reifenmasse können der Wirtschaftlichkeit und/oder der Umweltfreundlichkeit zugeordnet werden. Weist der Reifen einen geringeren Rollwiderstand auf, braucht er weniger Antriebsenergie, damit wird Treibstoff gespart, was für den Fahrer einen wirtschaftlichen und in der Gesamtheit betrachtet natürlich auch einen ökologischen Wert bringt. Der Gruppe «Komfort» kann einerseits der Fahrkomfort aus dem Bild 2 zugeordnet werden, wie dieser jedoch beeinflusst werden kann, wird weiter unten besprochen.


Aufbau

Ein Reifen besteht aus Lauffläche, Gürtel, Karkasse (=Unterbau), Seit enwand und Wulst.

Diese Teile wurden in den vergangenen Jahren mit sehr viel Entwicklungsaufwand verbessert. Der Wulst ist zusammen mit dem Wulstkern verantwortlich, dass der Reifen einen sicheren Sitz auf der Felgenschulter, zwischen Hump und Felgenhorn findet und unter keinen Umständen abrutschen kann. Die Stabilität gibt dazu der Wulstkern, welcher aus Stahldrähten besteht, die in Gummi einvulkanisiert sind. Das Kernprofil (Position 7) besteht aus Synthesekautschuk und verhilft der Seitenwand zu grösserer Stabilität und zu agilerem Lenkverhalten. Dieser relativ harte Gummikeil beeinflusst jedoch auch massgeblich den Federungskomfort des Reifens. Je grösser und je härter dieser Keil wird, desto direkter wird die Kraftübertragung gestaltet, desto härter wird aber auch die Federungseigenschaft des Reifens. Zusätzliche Wulstverstärker (11) erhöhen die Stabilität noch weiter. Die verstärkenden Kunststofffäden bestehen aus Aramid oder Nylon.

Karkasse

Die Textilcordeinlage, welche aus gummiertem Gewebe radial (d.h. von Wulst zu Wulst) verlegt ist, gibt dem Reifen die Form und bildet hauptsächlich die federnde Seitenwand. Im Kernbereich wird sie verstärkt und auch im Bereich der Lauffläche wird sie von einem verstärkenden Gürtel umschlungen. Je nach Material und je nach Höhe der Seitenwand können die Komforteigenschaften des Reifens sehr exakt bestimmt werden. Klar ist, dass ein Reifen mit einem Querschnittsverhältnis von 35 % und einem starken Kernprofil, evt. sogar einer «Run on flat»-Verstärkung, nicht an die Komforteigenschaften eines Reifens mit Querschnittsverhältnis 50 % oder 60 % herankommen kann. Wer extreme Niederquerschnittreifen auf sein Auto montieren will, muss akzeptieren, dass er damit nicht nur die Optik des Fahrzeuges, sondern auch die Fahreigenschaften und den Komfort beeinflusst.


Gürtel

Der oder die Stahlgürtel sind in verschiedenen Winkeln über die Lauffläche gelegt. Die Stahldrähte sind gummiert und verbinden sich beim Vulkanisieren problemlos mit der Umgebung. Zwischen den Gürtellagen können Spulbandagen aus Kunststoff eingelegt werden. Diese helfen mit, die Reifenfestigkeit und Stabilität auch bei hohen Geschwindigkeiten zu erhalten. Zusammen festigen diese Bauteile die Abrollqualität des Reifens: Die Lauffläche verformt sich wenig und bleibt auch bei hohen Längs- oder Querbelastungen stabil, was zu einer guten Haftung beiträgt. Wenn sich die Lauffläche nicht verformt, vermindert das auch den Rollwiderstand, denn jede Verformung bedeutet Energieaufwand und Wärmeerzeugung.


Lauffläche

Die Gummimischungen haben sich in den vergangenen Jahren gerade für die Laufflächen weiterentwickelt. Als Charles Goodyear 1839 die Vulkanisation des Kautschuks erfand, hat er herausgefunden, dass sich die Kautschukfäden (fadenförmige Kettenmoleküle) unter Druck und Hitze mit Hilfe von Schwefel zusammenbacken lassen. Die Anzahl der Schwefelbrücken war ein Mass für die Härte des entstehenden Gummis. Später wurde herausgefunden, dass mit Hilfe von Russ (Kohlenstoff) nicht nur Kreuzungen von Kautschukfäden zusammen verbunden werden können, sondern dass sich der Kohlenstoff an die Kettenmoleküle bindet und sie so festhält. Dadurch konnte bei guter Elastizität die Verformung und vor allem der Verschleiss verbessert werden. Durch den Einsatz von kristalliner Kieselsäure (Silica – SiO2) kann heute der Effekt von Kohlenstoff verstärkt werden, da im Kieselsäuremolekül drei bis vier Arme zur Verfügung stehen, um die Kautschukmoleküle zu binden. Die Kautschuk-Moleküle werden so auf drei Arten zusammengehalten, was zu einer besseren Festigkeit führt. Dadurch kann die Gummimischung weicher gestaltet werden und dies führt zu einer besseren Haftung bei gleich bleibendem oder gar kleinerem Verschleiss und verbessertem Rollwiderstand.


Michelin Energy Saver

Michelin erklärt die Entwicklung einer guten Haftung und eines geringen Rollwiderstands folgendermassen: «Dank des hohen Silica- Anteils erwärmt sich die Lauffläche des Energy Savers nicht nur durch äussere Einflüsse wie Reibung und Umgebungstemperatur. Zusätzlich reagiert die Hightech- Mischung auch auf hochfrequente Schwingungen, welche am Reifen bei zügiger Kurvenfahrt, beim Beschleunigen oder Bremsen auftreten. Es ist den Werkstoffexperten gelungen, eine Gummimischung zu konzipieren, die sich bei Frequenzen von mehreren 100 kHz in Sekundenbruchteilen erhitzt; die Lauffläche baut dadurch sofort maximalen Grip auf. Der Reifen baut also seine maximale Haftung dann auf, wenn sie gebraucht wird.»


Profil

Am Design der Reifenprofile wird ständig gearbeitet und es können immer wieder Fortschritte verzeichnet werden. Heute werden asymmetrische und laufrichtungsgebundene Profile angeboten. Dabei muss der Zusammenhang mit den viel breiter gewordenen Laufflächen mitberücksichtigt werden. Je breiter ein Reifen, desto weiter der Weg für das Regenwasser, welches zur Seite hin weggeleitet werden muss. Hier können ein asymmetrisches Profil und bogenförmige Rillen eine Verbesserung herbeiführen. Wird der Reifen jedoch falsch montiert, erhöht sich die Aquaplaninggefahr, eventuell auch der Rollwiderstand. Natürlich hat das Profil auch im Bezug auf Winterreifen einiges beizutragen. Während früher die Winterreifen vor allem mit grobstolligen Profilklötzen aufwar teten, weisen diese heute eher breite Profilrillen, also einen grossen Negativanteil in Längsrichtung auf. Die Lamellen in den Profilen (Bild 7) bewirken bei der Profilklotzverformung beim Anfahren und beim Bremsen einen erhöhten Verzahnungseffekt und dadurch eine verbesserte Haftung. Bei Winterreifen kommt es auch auf eine angepasste Laufflächengummimischung an. Diese Mischungen weisen in der Regel bei Temperaturen unter 7°C eine bessere Haftung auf, als vergleichbare Reifen mit Sommergummimischung. Der Winterreifen ist also eigentlich ein «Kalt-Wetter-Reifen » und spielt seine Vorteile nicht nur im Schneebetrieb aus.


Geräusche

Das Abrollen der Reifen wird bei immer ruhiger laufenden Fahrzeugen zunehmend zu einem Faktor, der berücksichtigt und auch angegangen werden muss. Geräusche entstehen durch eine Wechselwirkung zwischen Strasse und Reifen; sie werden durch die Betriebsbedingungen jedoch erhöht. Bei der Strasse spielen der Oberflächenzustand und das Material eine wesentliche Rolle. Beim Reifen kann über die Profilgestaltung der Geräuschpegel am Nachhaltigsten beeinflusst werden. Reifenabmessungen, Reifenaufbau und das Material stellen weitere Beeinflussungsparameter dar. Zum Schluss kommt es natürlich auf die Last, den Luftdruck, die Geschwindigkeit usw. an, ob die Geräusche verstärkt werden oder nicht.


Profileinfluss


Werden die elastischen Profilklötze auf den Boden gepresst und verformt (=Schwingungen), öffnen sich die integrierten Lamellen. Dabei wird Luft oder Wasser angesaugt oder weggestossen (=air pumping – Luftverdrängung). Dies erzeugt Geräusche. Auch das Aufschlagen der Profilklötze passiert nicht geräuschlos und zum dritten ist die Luftströmung durch die Profile zu beachten (=Luftresonanzen). Wenn es «nur» Luft ist, welche verdrängt wird, geht das relativ ruhig vor sich, sobald es sich aber um Regenwasser handelt, werden die Geräuschpel wesentlich höher.

 

Ökologie

Ist das Profil der Lauffläche soweit abgefahren, dass der Reifen erneuert werden muss, stellt sich die Frage nach den Alternativen zu fabrikneuen Reifen. «Die Runderneuerung gibt abgefahrenen Reifen ein sicheres, wirtschaftliches und umweltfreundliches neues Leben» sagt die Werbung der Runderneuerer. Sie schlagen für Reifen von Personenwagen und Kleinnutzfahrzeugen je eine Aufgummierung vor, für Nutzfahrzeugreifen bis 3 und für Flugzeugreifen bis 12 Runderneuerungen. Grundbedingung für eine Runderneuerung ist ein unverletzter Reifenunterbau. Die Reifen sollten nicht mit zu wenig Druck gefahren worden sein und dürfen auf keinen Fall Karkassenverletzungen aufweisen. Für die Runderneuerung wird vor allem aus ökologischen Gründen geworben. Während in einen neuen Lastwagenreifen gegen 80 kg Gummi verbaut werden, braucht es für die Runderneuerung nur gerade 15 kg. Die Herstellung eines Pw-Reifens verbraucht ein Energieäquivalent von 28 Liter Erdöl. Zur Aufgummierung wird die Energie von knapp 6 Liter Erdöl gebraucht. In der Schweiz haben runderneuerte Reifen mit 1-2 % einen sehr kleinen Markt, andere europäische Länder erreichen einen Marktanteil von fast einem Fünftel.

 

Kalterneuerung

Bei der Kalterneuerung werden bei Temperaturen von 95°C bis 110°C bereits vorvulkanisierte Laufstreifen (mit Profil) zusammen mit unvulkanisierten Bindegummischichten auf die vorbereitete Karkasse aufgebracht. Dieses Verfahren schont durch seine niedrige Vulkanisationstemperatur die Karkasse und den Reifenunterbau. Zur Vorbereitung der Karkasse werden die alten und verbrauchten Laufschichten abgeschliffen. Daneben werden die Karkassen optisch und in manchen Fällen auch elektronisch auf Beschädigungen geprüft. Zur Kalterneuerung werden Laufstreifen mit einvulkanisiertem Profil verwendet; aus diesem Grund können verschiedene Profilarten gelagert und in kleinen Serien eingesetzt werden. Das Profilformenprogramm liegt beim Laufstreifenlieferanten, damit trägt er auch die grossen Kosten für die Profilformen.


Heisserneuerung

Bei der Heisserneuerung beträgt die Vulkanisationstemperatur bis zu 150°C. Dabei wird beim alten Reifen nicht nur die Lauffläche abgeschliffen, sondern auch die Seitenwand. Ein unprofilierter und unvulkanisierter Laufstreifen wird in einer Heizpresse auf den Reifen vulkanisiert. Bei diesem Prozess erhält der Laufstreifen sein Profil. Da die Form in der Heizpresse das Negativprofil enthalten muss, ist dieses Werkzeug sehr teuer und aus diesem Grund müssen derartige Anlagen auf hohe Produktionszahlen ausgelegt werden. Die Reifenindustrie ist nach wie vor sehr aktiv und sowohl die Lebensdauer, wie auch der Rollwiderstand der Reifen werden in Zukunft noch weiter verbessert. Ob sich die Runderneuerung in der Schweiz etablieren kann, hängt von den Kosten und vor allem von den Geschwindigkeitsfreigaben runderneuerter Reifen ab.

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