10. Juni 2020

Emil Frey und das digitale Autohaus

Der Lockdown hat in vielen Unternehmen jetzt die Digitalisierung beschleunigt – auch in der Emil-Frey-Gruppe. Um den Kunden eine «kontaktarme» Betreuung zu ermöglichen, versuchen die Schweizer einen vollständig digitalen Autokauf abzubilden. Wie das in der Praxis aussieht, erklären Wolfgang Kopplin, Mitglied der Geschäftsleitung Emil Frey AG, und Philipp Rhomberg, Mitglied der Geschäftsleitung Emil Frey AG und Chef der Emil Frey Digital AG.

Emil Frey und das digitale Autohaus

Auf der neuen Portalseite von Emil Frey will der Mehrmarkenriese die Vorteile eines Online-Autohauses mit seiner Kundennähe vereinen.

Emil Frey und das digitale AutohausEmil Frey und das digitale Autohaus

Interview: Ralph M. Meunzel, Chefredaktor AUTOHAUS

 

AUTO&Wirtschaft: Die Emil-Frey-Gruppe ist im April mit neuen Handelsplattformen gestartet, zum Beispiel in der Schweiz mit emilfrey.ch, in Deutschland mit emilfrey.de oder in Frankreich mit emilfrey.ch/fr. Was sind die Gründe?

Wolfgang Kopplin: Zunächst sollten wir klarstellen, dass es durchaus schon vorher in der Emil-Frey-Gruppe digitale Angebote und auch erste Online-Transaktionsmöglichkeiten gab. Allen voran bei uns in Frankreich. Seit 2019 arbeiten wir aber auch mit Hochdruck an einem gemeinsamen Web-Auftritt in der Schweiz und in Deutschland. Das umfasst auch eine komplett neue Online-Angebots- und Transaktionsplattform. Bereits im Januar sind wir mit einem Softlaunch live gegangen und haben erste Fahrzeuge online verkauft. Durch die Covid-19-Situation haben wir dann aber viele Dinge enorm beschleunigt, um den Kunden einen umfassenden digitalen Prozess bieten zu können, wie z. B. eine Chatfunktion. Wir haben also die laufenden Projekte intensiviert und sind dann Anfang April mit neuen Releases online gegangen.

Philipp Rhomberg: Das gilt genauso auch für die Schweiz oder Frankreich. Aufgrund der Pandemie haben wir unsere digitalen Projekte beschleunigt.

 

Sie sprechen von einem Online-Autohaus auf den Webseiten. Ist es jetzt also möglich, online ein Auto zu kaufen von der Auswahl, Inzahlungnahme, Finanzierung, Vertragsabschluss, Zulassung – also bis zu Auslieferung?

W. K.: Das ist unser Ziel. Wir sprechen vom Online-Autohaus, oder genauer dem Digitalen Autohaus. Wie jedes unserer Autohäuser ist auch die digitale Variante für unsere Kunden gebaut, und die Abläufe orientieren sich an den typischen Prozessen wie im traditionellen Autohaus. Wir bieten alle Funktionen in digitalisierter Form. In den Wochen des Lockdowns haben wir gesehen, dass die Kunden das Bedürfnis hatten, sich über sofort verfügbare Autos zu informieren, und trotz der verordneten Distanz exzellent bedient werden wollten. Viele Kunden, die wir zuletzt online beraten haben, erklärten ihr besonderes Interesse an einem neuen Auto mit dem Wunsch nach Mobilität bei wachsender Skepsis gegenüber den hygienischen Zuständen in den öffentlichen Nahverkehrsmitteln. Es war diesen Kunden ein großes Anliegen, möglichst «kontaktarm» zu agieren. Wir versuchen daher mit dem digitalen Autohaus einen vollständig digitalen Autokauf abzubilden und wenn vom Kunden gewünscht nur noch die Übergabe persönlich zu organisieren.

 

Inklusive der vorgeschriebenen Formalien?

W. K.: Das klappt so bereits in den meisten Fällen. Beim Leasing und der Inzahlungnahme ist es aktuell noch nicht durchgängig möglich, hier sind wir aber dabei, die Hausaufgaben zu machen. Das wird in den nächsten Wochen realisiert.

P. R.: In der Schweiz sind wir mit der Abbildung des Kaufprozesses noch nicht ganz so weit. Die Bezahlung ist derzeit noch nicht online möglich, aber auch hier arbeiten wir an einer Lösung. In Frankreich ist dies bereits möglich.

 

Wie wurde der Finanzierungsprozess integriert über die Hersteller- und/oder freien Banken und mit welchem Bezahlsystem arbeiten Sie?

W. K.: Wir arbeiten in der Regel mit der jeweiligen Captive zusammen. Wir stellen derzeit allerdings aufgrund der Gebühren keine Bezahldienste in den Vordergrund. Das Geld wird vom Kunden in der Regel überwiesen. Bei Leasing und Finanzierung werden die Raten ja später abgebucht. Wir haben auch eine enge Partnerschaft mit der BDK als Non-Captive und arbeiten gemeinsam an Lösungen, um die Prozesse weiter zu vereinfachen.

 

Es wird also jeweils eine Verkaufsplattform für alle Handelsgesellschaften in den jeweiligen Ländern geben? In Deutschland sind es beispielsweise 30 Marken und 80 Standorte. Wie werden Daten ausgetauscht?

P. R.: Wir haben in jedem Land einen zentralen digitalen Automarkt bzw. eine zentrale Vertriebsplattform und wir sind sicher in Deutschland am weitesten. Wir teilen die Software, aber nicht die Daten über die Ländergrenzen hinweg. Da gibt es unterschiedliche Voraussetzungen, die wir beachten müssen. So gibt es in der Schweiz noch keine DSGVO, sondern ein Schweizerisches Datenschutzgesetz.

 

Sind Widerstände von den Marken zu erwarten?

W. K.: Wir verkaufen unsere Gebrauchtwagen und Lagerfahrzeuge aus eigenem Bestand. Da ist der eine zentrale Datenbestand ein sehr grosser Gewinn für alle. Eine enorme Auswahl und schnelle Verfügbarkeit für unsere Kunden. Diese neue Transparenz hilft enorm.

 

Wird der Onlinevertrieb also in den einzelnen Ländern zentral abgewickelt?

W. K.: So ist es. Der Kunde sucht und findet auf den nationalen Plattformen der Emil-Frey-Gruppe sein Wunschauto und kann es dann digital kaufen. Die Übergabemodalitäten bestimmt der Kunde und auf Wunsch liefern wir bis zu ihm nach Hause. Viele Kunden wollen es derzeit allerdings noch abholen und sind auch bereit, von Karlsruhe nach Hannover zu fahren. Es kann auch vor dem Kauf ein Termin mit dem jeweiligen Autohaus gemacht oder eine Beratung per Chat und Telefon vereinbart werden. Wir haben in Deutschland ca. 15’000 Autos ab Lager im Angebot, in der Schweiz rund 9’000. Die Fahrzeuge sind in einem Topzustand und werkstattgeprüft. Gleichzeitig gibt es eine Garantie bis zu fünf Jahren und auf Wunsch eine Finanzierung inklusive Rückgaberecht von bis zu 30 Tagen. Die neuen digitalen Möglichkeiten verkaufen Autos über Qualität und Service – nicht primär über den Preis.

P. R.: Das Angebot auf unseren Bestand zentral zugreifen zu können, macht unsere Plattform äusserst attraktiv. Unser Ziel war es, die Prozesse im Autohaus digital abzubilden bzw. nachzubauen. Das war die Aufgabe. Es ist klar, dass es Unterschiede zwischen den Ländern gibt. 90 Prozent ist identisch. Die anderen zehn Prozent machen aber die meiste Arbeit und sind für den Erfolg beim Kunden unabdingbar.

 

Wie arbeiten die einzelnen Gesellschaften in den Ländern zusammen?

W. K.: Wenn es über die online sichtbaren Informationen hinaus weitere Fragen gibt, dann steht dem Kunden ein nationales Kundenkontaktcenter (KKC) zur Verfügung. Hier laufen die Anfragen auf und werden von dort entsprechend an die Standorte verteilt. Wir sind aber überzeugt, dass die Kontaktaufnahme im Laufe der Zeit in den Hintergrund treten wird und viele Dinge automatisch ablaufen. Der Kunde muss dann nicht mehr mit jemandem sprechen. Es sei denn, dass er Bedarf hat und persönlich beraten werden möchte.

P. R.: Jedes Autohaus kann aber auch auf den zentralen Bestand zugreifen und über die Plattform kommunizieren. Wir müssen auch in der Kommunikation untereinander digital werden. Dazu haben wir unsere eigene Software «Inside» geschaffen. Hier kommunizieren die einzelnen Standorte miteinander.

W. K.: Die Vernetzung war dabei eine grosse Herausforderung. Wir mussten verschiedene Plattformen miteinander verknüpfen. Hier geht es vor allem um das Schnittstellenmanagement. Ausserdem lagen eine Fülle unterschiedlicher Datensätze vor. Die mussten wir bewerten und einheitlich für unsere Gruppe strukturieren. Wir haben damit zwei Jahre lang ein eigenes Team beschäftigt. Das war einer der Gründe, warum wir die Emil Frey Digital AG gegründet haben.

P. R.: Richtig, digital werden heisst zunächst aufräumen. Wenn es kein einheitliches DMS gibt, muss man etwas darüber schalten, um die Daten zu harmonisieren. Dafür haben wir ein eigenes Entwicklungsteam in Kroatien. Wichtig ist allerdings, dass uns der Vertrieb mitteilt, was er will, und wir verstehen, was damit gemeint ist, um es umzusetzen. Auch das digitale Geschäft ist letztlich lokal und Retail heisst Detail.

 

Gibt es künftig auch Onlineverkäufer?

W. K.: Unsere Verkäufer sind für Online- und Offlineverkauf an den Standorten zuständig. Dazu kommen die Verkäufer(innen) im KKC, die ausschliesslich digital unterwegs sind, bei Bedarf aber auch im Autohaus arbeiten können. Viel wichtiger ist es, dafür ein passendes Provisionssystem zu entwickeln, um die Provisionen unter den Akteuren abhängig von der Leistung aufzuteilen. Davon versprechen wir uns grosse Vorteile, um den Bestand insgesamt schneller und besser zu vermarkten.

 

Welche Funktion haben die Websites der einzelnen Gesellschaften?

P. R.: Weiterhin eine zentrale Funktion. Die Webseiten sind die Eingangsportale für die zentrale Vermarktung. Wir wollen auch den Wettbewerb untereinander erhalten. Die Ausgestaltung liegt dann immer am jeweiligen Geschäftsführer.

 

Welche Partner haben Sie «online» einbezogen?

W. K.: Wir arbeiten im digitalen Bereich mit allen unseren Partnern zusammen, die bisher schon für uns tätig sind. Dazu zählen unter anderem die Nürnberger Versicherung, die Car Garantie oder wie schon angeführt die BDK. Auch die markenspezifischen Aspekte haben wir vollständig berücksichtigt und die Captives eingebunden.

 

In welcher Form gestalten Sie das Marketing?

P. R.: Für das Marketing und die Verteilung des Budgets sind wie bisher die Länder zuständig. Wir setzen auf die bekannten digitalen Kanäle Google, Facebook usw. Wir haben in der Schweiz aber auch ein Team zur SEO- und SEA-Optimierung. Gleichzeitig gibt es eine länderübergreifende Arbeitsgruppe mit Google.

W. K.: Wir machen regelmässig besondere Aktionen, um die Plattformen bekannter zu machen. Vor zwei Wochen haben wir gezielt Radiowerbung eingesetzt, dazu haben wir unsere Fahrzeuge grossflächig beklebt. Aktuell gibt es die «EinwandFrey-Wochen», die wir entsprechend digital pushen. Wir stellen fest, dass Kunden und Mitarbeiter darauf hervorragend angesprochen haben; die Klickzahlen entwickeln sich sehr gut.

 

Wie organisieren Sie die Leadqualifizierung, -bearbeitung und -kontrolle?

P. R.: Wir haben dafür ein zentrales Leadmanagement-Tool entwickelt. Unser KKC ist für das Leadmanagement zuständig. Das bzw. die KKC haben wir deshalb intern aufgebaut und nicht extern vergeben. Dieser Standard wird in allen Ländern umgesetzt.

 

Werden Sie die Technologie auch den Händlern Ihrer Importeure anbieten?

P. R.: Wir verkaufen sicher keine Software. Wer allerdings für uns in der Schweiz Toyotas und in Deutschland Mitsubishis oder Subarus verkauft, dem stellen wir die Technologie in Lizenz zur Verfügung, zum Beispiel was unser Leadmanagementsystem und den Verkäuferarbeitsplatz betrifft.

 

Vor sechs Monaten haben Sie die PSA-Gruppe in der Schweiz übernommen?

P. R.: Das war für die beteiligten Kollegen eine Herkulesaufgabe, die online und offline innerhalb der vorgesehenen Projektzeit abgeschlossen wurde. Das haben die Verantwortlichen vor Ort, die Backoffice-Funktionen und unsere IT exzellent gelöst.

 

Arbeiten Sie an Konzepten wie Autoabo oder Carsharing?

W. K.: Zunächst konzentrieren wir uns auf das digitale Autohaus und die Abläufe. Wir werden uns zu einem späteren Zeitpunkt sicherlich auch mit gebündelten Produkten aus Leasing, Versicherung und Service beschäftigen. Die von Ihnen genannten Konzepte sind für uns derzeit nicht von Bedeutung und erscheinen auch nicht nachhaltig attraktiv.

P. R.: Wir sind keine Trendfabrik, sondern wollen die saubere Vertriebsarbeit im Autohaus digital abbilden. Wir haben damit noch viel zu tun.

 

www.emilfrey.ch

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