10.11.2010

Detailarbeit

Der Porsche 911 Turbo wurde 1974 am Pariser Automobilsalon als erstes Serienfahrzeug mit abgasseitigem Bypass-Ventil (Wastegate-Ventil) vorgestellt. Als Flaggschiff der 911er-Serie war das Modell «Turbo» nicht nur die leistungsstärkste Variante, sondern stellte auch den Innovationsträger gemeinhin dar. 1977 erhielt es als erstes Serienfahrzeug die Ladeluftkühlung, 2000 Vario Cam Plus und 2006 den Turbolader mit der variablen Turbinengeometrie (VTG). «AUTO&Technik» hat das Fahrzeug in der Ausgabe 1-2/2010 vorgestellt. Heute sollen motorentechnische Details beleuchtet werden.

Detailarbeit

Der breit aber kompakt bauende Boxermotor ist mit zwei VTG-Ladern und homogener Benzindirekteinspritzung mit Mehrlochinjektoren ausgerüstet. Boxergemäss verfügt er über einen tiefen Schwerpunkt.

VON ANDREAS LERCH

Die motorische Entwicklung kann allein mit den Vergleichszahlen von Leistung, Drehmoment und Hubraum dargestellt werden. Vor allem, weil dem Porsche Turbo immer attestiert worden ist, an vorderster technischer Front mitzulaufen. 1974 wurde die 3.0-l-Maschine mit 260 PS und 340 Nm vorgestellt. Der Motor lieferte also trotz Aufladung noch keine 100 PS pro Liter Hubraum. Die neue Variante verfügt zwar über 3.8 l Hubraum, entnimmt diesem dafür 368 kW (also knapp 100 kW/Liter Hubraum) und (im Overboost-Betrieb) 700 Nm. Auch die spezifische Drehmomentabgabe wurde gegenüber dem Ursprungmodell fast verdoppelt. Leistungs- und Drehmomentverläufe müssten natürlich auch noch über der Drehzahl verglichen werden, und erst da werden die effektiv gewaltigen Fortschritte sichtbar. Gegenüber dem Vorgängermotor konnten durch innovative Entwicklungsarbeit von den 1610 Motorbauteilen deren 384 oder fast 25 % eingespart werden. Dadurch resultiert eine geringere Motormasse von 11.8 kg und das trotz der Einführung der Benzindirekteinspritzung, welche mit einem Mehrgewicht von 6.4 kg aufwartet.

Motorgehäuse

Das Kurbelgehäuse des Vorgängermodells wies eine Open-Deck-Konstruktion mit Zylinderlaufbuchsen auf. Der neue Motor wird aus einer einmetalligen übereutektischen Aluminium-Siliziumlegierung als Closed-Deck-Konstruktion gegossen (AlSi17Cu4Mg). Durch ein anschliessendes dreistufiges Honverfahren werden die Siliziumkristalle an der Oberfläche der Zylinderlaufflächen freigelegt. Die harten Siliziumkristalle bilden einen guten Reibpartner zu den eisenarmierten Kolbenschäften und ermöglichen die Bildung feiner Öltaschen zwischen den Kristallen.
Um die um 15% gestiegenen Verbrennungsdrücke zu verkraften, wurde das Kurbelgehäuse einer Wärmebehandlung unterzogen, damit vor allem die stark belasteten Lagerstühle eine höhere Festigkeit erhielten.
Durch spezielle Untersuchungen der Wärmeströme konnten im Bereich der Brennräume Verbesserungen erreicht werden, welche erlaubten, die hochwarmfeste Aluminiumlegierung (AC-AlCu5Ni1,5CoSbZrS/K – RR350) zu ersetzen. Auch spezielle Massnahmen in der Luftführung und der Benzindirekteinspritzung halfen mit, die maximalen Verbrennungstemperaturen nicht zu hoch steigen zu lassen. Dadurch wurde die Steigerung des Verdichtungsverhältnisses von 9.0 auf 9.8 ermöglicht, was einer Verbesserung des thermischen Wirkungsgrades gleichkommt.

Kurbel- und Steuertrieb

Boxerspezifisch ist die geschmiedete Kurbelwelle siebenfach gelagert und verfügt über parallele Gegengewichte. Die Schwingungen erster Ordnung sind beim Boxermotor durch die gegenläufigen Kolben ausgeglichen. Die Kurbelwelle besteht aus 42CrMo4NiV und wird nach dem Schmieden getwistet. Da die Pleuelzapfen der einzelnen Zylinder nicht um 180° verdreht sind (wie bei 4-Zylinder-Reihenmotoren oder echten V8-Motoren), muss die Welle im glühenden Zustand um die erforderlichen 120° verdreht werden. Dies erfolgt mehrere Male, da die Kolben der Zylinder 1/4, 2/5 und 3/6 miteinander laufen (Zündreihenfolge: 1-6-2-4-3-5). Wenn die Kolben der Zylinder 1 und 4 im OT stehen müssen, ist die Kröpfung der Kurbelwelle maximal, da die beiden Kolben in OT-Position den grössten Abstand voneinander haben.
Als Pleuellager sind deckelseitig die gleichen galvanischen Dreistofflager eingebaut wie bei den Saugmotoren, stangenseitig mussten jedoch durch die höheren Kolbenkräfte Sputterlager eingebaut werden. Die bruchgetrennten Stahlschmiedepleuel wurden steifigkeits- und dauerfestigkeitsoptimiert.
Die Aluminium-Schmiedekol­ben weisen eine hartanodisierte oberste Ringnut auf und sind turbo­üblich spritzölgekühlt. Die galvanische Eisenarmierung der Kolbenschäfte bildet den optimalen Reibungspartner für die Lauffläche der Zylinder. Die Kolbenbodenmulde verbessert vor allem in der Motorstartphase die Gemischbildung.
Durch die Gewichtsoptimierungen im Steuertrieb wurde eine Drehzahlsteigerung um 200/min auf 7000/min ermöglicht. Gleichzeitig wurden die Ventilteller der Einlassventile im Durchmesser um 2.5 mm vergrössert und die Ventilhübe bei den Einlassventilen auf 10.5 mm und bei den Auslassventilen auf 10.35 mm gesteigert (Vormodell: 10.0 mm).
Der Umschaltpunkt der VarioCamPlus-Ventilsteuerung liegt über einen grossen Drehzahlbereich bei einer Drehmomentabgabe um 240 Nm. Durch die Verringerung der Lastwechselverluste und der fast vollständigen Entdrosselung des Ansaugvorganges ergibt sich bei der Ventilumschaltung auf den grossen Ventilhub ein «Füllungssprung». Dieser muss durch entsprechende Drosselklappen- und Zündwinkelsteuerung aufgefangen werden.

Schmierung
Die integrierte Trockensumpfschmierung ist nunmehr mit 7 statt 9 Ölpumpen ausgerüstet. Integriert bedeutet, dass der Ölbehälter in der Ölwanne integriert ist. Dadurch werden die Antriebsleistung der Ölpumpen aber auch das Ölvolumen (-0.3 l) selbst verringert. Gesamthaft wurde der Motor durch diese Massnahmen um 4 kg leichter. Die sieben Ölpumpen teilen sich in 6 Saug- und eine Druckölpumpe auf. Zwei Saugpumpen befinden sich bei den Turboladern und je zwei unter den Zylinderköpfen. Die Druckölpumpe ist elektronisch bedarfsgerecht gesteuert. Durch die integrierte Trockensumpfschmierung ist das Fahrzeug auch für extreme Belastungen im Rundstreckenbetrieb geeignet.

Luftführung

Die Ansaugluft wird beim neuen Turbomotor durch eine Expansionssauganlage geführt. Diese wurde als Weltneuheit im Modell 911 GT2 eingesetzt. Beim Ladungswechsel entstehen zwischen der Drosselklappe und den Einlassventilen Druckschwingungen. Die angesaugte Luft wird abwechselnd komprimiert und expandiert und es bildet sich alternierend Überdruck und Unterdruck. Die bekannten Resonanzsauganlagen nützen dabei die Überdruckphasen dieser Schwingung, um den Zylinderfüllungsgrad zu verbessern. Dazu wird versucht, das Einlassventil genau in jenem Moment zu schlies­sen, in dem der Druck im Saugrohr noch gerade grösser ist als jener im Zylinder. Der Nachteil dieses Verfahrens ist, dass die Luft nicht nur komprimiert, sondern auch erwärmt wird. Die Folge der höheren Temperatur im Brennraum ist ein späterer Zündzeitpunkt.
In der Expansionssauganlage kühlt die Luft in den Unterdruckmomenten ab. Der Temperaturvorteil kann im Bild nachverfolgt werden. Dieser Effekt wird in der Sauganlage des Motors durch die Verbindung von kurzen Saugrohren mit einem längeren Verteilerrohr erreicht, welches einen kleineren Querschnitt hat. Strömt die Luft vom kleinen in den grossen Querschnitt, wird die Strömungsgeschwindigkeit kleiner und der Druck sinkt. Die Gasmasse gibt dabei Wärmeenergie ab.
Beim Turbomotor kann der durch die Expansion verlorene Druckgewinn gegenüber einer Resonanzsauganlage durch die Aufladung wieder kompensiert werden. Durch die weniger heisse Ansaugluft kann der Zündzeitpunkt in gewissen Betriebspunkten um bis zu 9° nach Früh verstellt werden. Der dadurch gewonnene Leistungsgewinn ermöglicht eine kleinere angesaugte Luftmasse, weniger heis­se Abgastemperaturen und einen geringeren Verbrauch.

Benzindirekteinspritzung

Die homogene Benzindirekteinspritzanlage des Porsche 911 Turbo arbeitet mit Einspritzdrücken bis 140 bar. Dazu werden Mehrloch-Einspritzdüsen mit 6 Bohrungen eingesetzt. Diese Massnahmen ermöglichen eine höhere Einspritzmenge, eine bessere Zerstäubung und durch die schnellere Verdampfung eine bessere Gemischaufbereitung. Die Injektorachse ist zur Zylinderkopfdichtung um 21° geneigt und die Einspritzstrahlachse umfasst einen Kegelwinkel von 53°. Die Einzelstrahlen haben einen Kegelwinkel von 7°.
Die Probleme liegen natürlich gerade bei einem derart leistungsfähigen Motor in der Einspritzmengenspreizung zwischen Volllast und Leerlauf bzw. Schiebebetrieb mit «Quasi-Schubabschaltung». Die hohen Durchflussmengen müssen gewährleistet werden, ohne die vorgegebenen Strahlbildparameter einzuschränken.
Durch die homogene Gemischbildung reicht im grössten Teil des Kennfeldes eine einzige Einspritzung während des Ansaugtaktes des einzelnen Zylinders aus. Bei höheren Motorlasten und ab Drehzahlen um 3200/min können 2- und 3-fache Einspritzungen generiert werden. Die Massenanteile, die Einspritzzeitpunkte und die Pausenzeiten werden betriebspunktabhängig auf das Motorverhalten, die Laufruhe und die Emissionen abgestimmt. Da die Injektorgeräusche ähnliche Körperschallsignale abstrahlen wie klopfende Verbrennungen, muss bei der Einspritzstrategie auch die Klopfabstimmung berücksichtigt werden.

Aufladung

Die variable Turbinengeometrie (VTG) bzw. die verstellbaren Leitschaufeln des Abgasturboladers des Porsche wurde in «AUTO&Technik» schon mehrfach erwähnt und beschrieben. Trotz der «weltraumtauglichen» Materialien wird die Abgastemperatur durch die beschriebenen Massnahmen, aber im Endeffekt durch das Lambdafenster auf 1000 °C beschränkt. Dass der 911 Turbo über keine soundbeeinflussende Auspuffklappen verfügt, ist ebenfalls mit dem VTG-Lader zu erklären.

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