21.06.2010

Unterschiedliche Bewegung

Lager ermöglichen Relativbewegungen zwischen Teilen. Sehr einfach scheint diese Definition von Lagern zu sein, doch müssen auch hier die Details sauber und seriös entwickelt werden. Lager werden zwischen zwei mit unterschiedlichen Drehzahlen rotierenden Wellen oder zwischen ein feststehendes Gehäuse und eine drehende Welle eingebaut. Dazu sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Lagerhauptfamilien bekannt: die Gleitlager und die Wälzlager.

Unterschiedliche Bewegung

Bild 1. Gleitlager bedürfen immer genügend Schmieröl. Schon vor der Montage der Kurbelwelle ist es eine unbedingte Pflicht, die Gleitlager gut einzuölen, denn beim ersten Motorstart dauert es einige Zeit, bis die Ölpumpe den Motor mit Schmieröl gefüllt hat.

VON ANDREAS LERCH

 

Eigentlich war lange Zeit klar: Gleitlagerungen werden im Motor bei den Haupt- und Nebenwellen (Kurbelwelle, Nockenwelle, Ausgleichswelle usw.) eingebaut, die Wälzlager im Getriebe und bei den Radlagern. Als Argument konnte angeführt werden, dass Wälzlager nicht geteilt werden können, und um die Kurbelwellen zu teilen, müssten sogenannte Hirth-Verzahnungen eingesetzt werden (bekannt von mehrzylindrigen Zweitaktmotoren hauptsächlich für Motorräder). Zweitaktmotoren können Gleitlager im Kurbelwellenbereich nicht mit Drucköl versorgen, da das Kurbelgehäuse zur Vorverdichtung gebraucht wird.

In der Zwischenzeit können Wälzlager jedoch ebenfalls geteilt werden und halten auch den grossen Belastungen stand, welche bei den Kurbelwellenhaupt- und Pleullagern auftreten. Somit stellt sich erneut die Frage – was können denn die Gleitlager besser als die Wälzlager?

 

Aufgaben

Die Kurbelwellenlager werden grossen Stossbelastungen ausgesetzt und müssen den schlagartigen Verbrennungsdruckaufbau aufnehmen und dämpfen. Dazu können Gleitlager einfach geteilt werden, sind montagefreundlich und platzsparend. Sie sind unempfindlich gegen Verschmutzungen und in der Summe relativ kostengünstig. Der Nachteil der Gleitlager, welcher immer mehr ins Gewicht fallen wird, ist die höhere Lagerreibungszahl und der grosse Druckölbedarf.

Diese beiden Argumente sind natürlich verbrauchs- bzw. CO2-wirksam. Kann die Lagerreibung verkleinert werden, verliert der Motor weniger mechanische Energie im Kurbeltrieb und kann diese dafür über das Schwungrad und die Kupplung weiterleiten.

Da Wälzlager in der Regel mit Ölnebel zufrieden sind, Gleitlager als sogenannte hydrodynamische Lager jedoch einen vollständigen Ölfilm brauchen, muss für Gleitlager die Ölpumpe entsprechend ausgelegt sein und auch die Strömungswiderstände der Lager, sprich der Ölzulauf, das Lagerspiel und die Ölwegleitung, müssen genau definiert sein. Je mehr Volumen und Druck eine Pumpe liefern muss, desto mehr Energie nimmt sie auf; diese Energie muss dem Verbrennungsmotor entzogen werden und fehlt am Schwungrad.

Kräfte am Kurbeltrieb

Die Kraft, welche durch den Kolben aus dem Verbrennungsdruck erzeugt wird, muss ein erstes Mal beim Kolbenbolzen abgestützt werden. Er macht dabei im Pleuelauge eine stetige Pendelbewegung und wird extrem auf Abscherung belastet. Die Schmierung ist an dieser Stelle nicht sehr gut und trotzdem muss die Lagerbüchse diesen grossen Belastungen standhalten. 

Die Kolbenkraft, welche in Richtung der Kolbenlängsachse wirkt, muss in die Richtung der Pleuelstange umgelenkt werden. Dazu braucht es eine seitliche Abstützung am Zylinder (Bild 2). Eine weitere Kräftezerlegung erfolgt im Pleuellager. Dort entsteht aus der Pleuelkraft die rechtwinklig auf den Kurbelzapfen wirkende, drehmomentbildende Tangentialkraft und die zweite, auf das Hauptlager wirkende Abstützkraft. Diese wird durch die Fliehkraft des Pleuelfusses etwas verkleinert. Auf die Hauptlager wirken nicht nur die aus dem Verbrennungsdruck resultierenden Kräfte sondern auch die Fliehkräfte der Kurbelwellen-Ausgleichsgewichte. So müssten diese Hauptlagerkräfte exakter studiert und analysiert werden und sind im Bild 2 angenommen.

Wichtig sind die Belastungen der Lager, welche immer wiederkehren und je nach Verbrennungsintensität grösser oder kleiner sein können. Kräfte entstehen jedoch nicht nur während den Verbrennungstakten sondern auch in den drei anderen Takten.

Lagerwerkstoffe

Gleitlager bestehen grundsätzlich aus dem tragenden Lagermetall und den darauf aufgebrachten Laufschichten. Dabei wird die Stahlstützschale mit einer speziellen Tragschicht verbunden. Diese tragenden Verbundteile könnten ohne spezielle Lauf- oder Gleitschichten nur bei gering belasteten Motoren eingesetzt werden. Die Stahl-Bleibronze-Verbundwerkstoffe werden gesintert, gegossen oder walzplattiert (Bild 3). Diese Lagerträgerschichten werden in den meisten Fällen mit speziellen Gleitschichten versehen, um ein ausreichend gutes Laufverhalten und die verlangte Störunempfindlichkeit zu garantieren. Diese Gleitschichten (15 bis 35 µm) werden entweder elektrochemisch oder nach dem PVD-Verfahren (PVD = physical vapour deposition) aufgebracht (zum Vergleich: ein Menschenhaar weist im Durchschnitt einen Durchmesser von 50 µm auf).

Zwischen die tragende Schicht und die Laufschicht wird häufig eine hauchdünne Nickel-Zinn-Legierung aufgetragen. Diese Schicht ist kaum dicker als 1 bis 3 µm und verbessert zum einen die Haftung des Gleitmaterials. Zum anderen verhindert sie das Eindringen von Gleitmaterial ins Trägermaterial (Diffusion).

 

Sputterlager

Das PVB-Verfahren wurde erst in den späten 90er-Jahren in grös­serem Umfang für die Lagerbeschichtung eingesetzt. Dabei wird eine Aluminium-Zinn-Kupfer-Legierung auf das Lager aufgetragen. Im Hochvakuum wird ein Teil einer geringen Menge Argongas durch ein elektrisches Feld ionisiert. Für dieses elektrische Feld wird die Kathode vom «Spendermaterial» gebildet. Die positiven Argon-Ionen werden zur Kathode hin beschleunigt und schlagen beim Aufprall Metallatome aus der Kathode. Da Metalle immer freie Elektronen auf der äus­sersten Schale haben, werden durch die grosse Aufprallenergie auch Elektronen frei. Das Gemisch aus freien Elektronen, positiven Ionen und neutralen Argonatomen bildet ein stationäres Plasma in dem angelegten Vakuum. In dieser Atmosphäre können die herauskatapultierten Metallatome auf dem Gleitlager kondensieren und eine feinkristalline und sehr belastbare Gleitlagerschicht bilden (Bild 4).

Die Herstellung der Sputterlager ist aufwändig und teuer. Da die beiden Lager eines Haupt- oder Pleuellagers immer ungleich belastet sind und die höchste Belastungen vom Verbrennungsdruck aber immer in der gleichen Richtung wirken, reicht es häufig aus, wenn eine Lagerschale gesputtert ist.

 

Wälzlager

Die Gleitlagerindustrie hat das hydrodynamische Gleitlager zu einem ausgereiften Produkt entwickelt. Dies erforderten auch die ständig steigenden Verbrennungsdrücke. Durch die Weiterentwicklungen wurden die Gleitlager hingegen teurer, und deshalb entsteht die Diskussion nach dem Unterschied zwischen Wälz- und Gleitlager erneut.

Beim Anlauf ist der Reibbeiwert des Wälzlagers viel kleiner als beim Gleitlager, da dieses in der Anlaufphase noch mit der Mischreibung zu kämpfen hat. Daneben wird das Wälzlager als genormtes Maschinenelement geliefert und kann relativ einfach ausgetauscht werden. Es braucht keine Einlaufzeit und ist in Pflege und Wartung anspruchslos. 

Weil die Kraftübertragung über die Wälzkörper punktförmig (Kugellager) erfolgt, sind die Lager stossempfindlich. Es ist auch aufwändig, die Lager teilbar zu gestalten. Neben dem grossen Durchmesser muss zudem die Geräuschdämpfung verglichen werden. Bei beiden Punkten können die Wälzlager nicht trumpfen.

 

Konkurrenzkampf

Die Schaeffler Technologies GmbH hat den Schritt gewagt und stellte Ausgleichswellen mit Wälzlagerung vor. Den Serienstart erreichte diese Welle mit dem OM651-Motor von Mercedes-Benz. Im Bild 6 sind zwei aktuelle Vierzylindermotoren aus dem Mercedes-Benz-Konzern abgebildet. Oben der Benzinmotor (M271) mit 1.8 l Hubraum und einer gleitgelagerten Ausgleichswelle. Darunter der 2.2-l-Dieselmotor (OM651) mit der neuen, wälzgelagerten Ausgleichswelle.

 

Ausgleichswellen

Konzeptbedingt weist der Hubkolbenmotor ungleichförmige Bewegungen auf. Die ständig zu beschleunigenden Kolben und die ständig auslenkenden Pleuelstangen erzeugen Kräfte und Momente, welche sich drehzahlabhängig, aber regelmässig auf- und abbauen. Um diesen Kräften und Momenten entgegenzuwirken, werden Ausgleichswellen eingebaut. Diese sind übersetzt und rotieren mit doppelter Kurbelwellendrehzahl. Die Unwucht der beiden Ausgleichswellen ist so ausgelegt, dass sie sich in der Motorquerachse (horizontal) gegenseitig immer ausgleichen, in der Richtung der Zylinderachse können sie den vom Kurbeltrieb erzeugten Kräften entgegenwirken. Diese Wellen steigern die Laufruhe und den Komfort eines Motors bzw. Fahrzeuges, müssen aber mit dem Kurbeltrieb immer wieder beschleunigt und verzögert werden. Je schwerer die rotierenden Massen der Ausgleichswellen, desto grösser wird auch die Beschleunigungsenergie werden. Es muss also darauf geachtet werden, dass die Ausgleichswellen so leicht wie möglich gebaut sind und dabei ihre Unwuchten genau an den richtigen Stellen aufweisen.

Werden Ausgleichswellen wälzgelagert, vermindert sich einerseits die Reibung wodurch ca. 1 bis 2 % Treibstoff eingespart werden können. Daneben kann auch das Motorgehäuse etwas einfacher aufgebaut werden, da die Schmierölbohrungen für die vier Ausgleichswellenlager entfallen.

 

Optimierte Ausgleichswellen

Die Kraftwirkung der Ausgleichswellen wird durch deren Unwucht ausgeübt. Für das Lager heisst das, dass die Abstützkräfte immer auf der Unwuchtseite der Welle aufgenommen werden müssen, auf der gegenüberliegenden Seite braucht die Welle kaum gelagert zu werden.

Aus diesem Grund weisen die optimierten wälzgelagerten Ausgleichswellen unterschiedlich breite Lagersitze auf. Auf der Unwuchtseite (dort ist die Masse und dort treten die Kräfte auf) sind die Lagersitze breit, gegenüberliegend sind sie jedoch schmal (Kreis in Bild 6).

Die einseitige Verkleinerung der Lagerbreite entfernt gegenüber der Unwuchtseite Masse und erhöht dadurch die tatsächliche Unwucht der Welle. Um die gewünschte Unwucht wieder zu erhalten, kann jetzt auch auf der Unwuchtseite etwas Material entfernt werden und die gesamte Welle wird leichter. Mit derartigen Optimierungsmassnahmen können bis zu 1 kg Masse an einem Ausgleichswellenpaar eingespart werden.

 

Wälzlager im Vormarsch?

Im Ventiltrieb (Rollenschlepphebel) haben sich die Wälzlager schon breitflächig durchgesetzt. Rädertriebe, Kettenräder und Nebenaggregate sind weitere Betätigungsfelder, in denen die Wälzlagerindustrie beherrschend ist. Im Nockenwellenbereich sind erste wälzgelagert Prototypen beschrieben, vorgestellt und warten auf die Serieneinführung. Die Frage nach der wälzgelagerten Kurbelwelle bleibt vorläufig noch offen. Realisierbar wäre auch dies, sagen die Spezialisten, doch braucht es neben der Realisierbarkeit immer einen Motorenbauer, der das System einbauen will. Mit jedem verdrängten Gleitlager wird es aber interessant, wie es mit dem gesamten Schmiersystem weitergeht.

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