Mit dem Abstandstempomaten Distronic setzte Mercedes 1998 einen ersten Meilenstein auf dem Weg zum autonomen Fahren. Unter der Bezeichnung Intelligent-Drive haben die Stuttgarter seither viele weitere Fahrassistenten auf den Markt gebracht. Wir sprachen am Auto-Salon mit Bernhard Weidemann, Kommunikation Intelligent Drive bei der Daimler AG, über den aktuellen Stand. Interview/Bild: Mario Borri
AUTO&Wirtschaft: Welche Assistenzsysteme umfasst Mercedes-Benz Intelligent Drive aktuell?
Bernhard Weidemann: Das sind mittlerweile ganz schön viele und sie sind sehr smart. Zum Beispiel der Aktive Brems-Assistent, der nicht einfach nur für den Fahrer bremst, wenn dieser es nicht tut. Das System erkennt, ob der Lenker aufmerksam ist. Wenn er nur leicht am Lenkrad dreht und das Gaspedal streichelt, dann registriert das System, dass der Fahrer nicht ganz bei der Sache ist. Wenn dann eine gefährliche Situation eintritt, kommt zuerst eine optische und akustische Warnung. Erst wenn es wirklich kritisch wird, tritt der Assistent voll in die Bremsen. Ziel des Systems ist es ja auch, den Fahrer wieder zurückzuholen, ihm verstehen zu geben, dass er die Kontrolle über das Auto behalten muss.
Wie hat sich Distronic in den 21 Jahren weiterentwickelt?
Distronic ist immer noch ein Abstandstempomat. Er hält den Abstand zum Vordermann automatisch und verlangsamt die Fahrt automatisch, wenn der Verkehr ins Stocken gerät. Das aktuelle System bremst aber nicht voll ab, sondern nutzt den Abstand zum vorherfahrenden Auto maximal komfortabel aus. Die aktuelle Distronic macht eine sogenannte Komfortbremsung, wenn es sein muss bis zum Stillstand. Falls die Komfortbremsung nicht reicht, schaltet sich der Aktive Brems-Assistent ein und tritt in die Eisen.
Bei Intelligent-Drive sind die verschiedenen Assistenten also vernetzt…
Ja, genau, wir versuchen die Systeme zusammenzubringen. Wenn man die Sensorik und die Software vernetzt, kann der Assistent intelligentere Entscheidungen treffen. Pre-Safe ist ein schönes Beispiel. Es handelt sich dabei zwar nicht um eine Intelligent-Drive-Funktion, sondern eine Funktion aus der passiven Sicherheit. Aber sie nutzt die Sensorik aus der aktiven Sicherheit. Das System erkennt über die verbauten Sensoren und Kameras, wenn es zum Beispiel unausweichlich zu einer seitlichen Kollision kommt und schubst den Fahrer mit dem Sitz ein paar Zentimeter in die Fahrzeugmitte, vom Unfall weg. Das schafft einerseits mehr Knautschzone und reduziert andererseits die relative Aufprallgeschwindigkeit. Beides minimiert die negativen die Folgen eines Aufpralls. Das meint Mercedes mit intelligent. Wenn die Systeme zusammenarbeiten und eine möglichst intelligente Entscheidung für das Wohl des Menschen treffen.
Mit welchen Technologien arbeitet Mercedes?
Hauptsächlich mit Radar und Kameras. Aber auch mit Ultraschallsensoren und GPS. Unsere Systeme nehmen aber auch die Kartendaten des Navigationssystems mit in Betracht. Wenn man zum Beispiel auf der Autobahn den Tempomat auf 120 km/h eingestellt hat und es kommt eine etwas engere Kurve, weiss das das Auto schon vorher und verlangsamt automatisch.
Sind die immer smarteren System nicht eine Gefahr, dass man sich zu sehr auf die Technik verlässt?
Ja, diese Gefahr besteht, wir nennen das Over-Trust (zu viel Vertrauen, Anm. d. Redaktion) und daraus könnte sogar ein Blind-Trust (blindes Vertrauen, Anm. d. Redaktion) werden, das wollen wir auf keinen Fall. Blindes Vertrauen ist zwar eigentlich etwas Schönes, doch im Strassenverkehr kann es gefährlich sein. Es gibt immer noch Situationen, in denen der Mensch bessere Entscheidungen trifft als die Maschine. Insofern wollen wir nicht zu viel Vertrauen und auch kein blindes Vertrauen, sondern kalibriertes Vertrauen oder informiertes Vertrauen. Das bedeutet für Mercedes, dass wir den Fahrer mit den aktuellen Fahrassistenzsystemen immer wissen lassen, was los ist und warum das Fahrzeug macht, was es macht. Über die Grafik im Cockpit werden die Systeme und die Gefahren angezeigt. Wenn zum Beispiel bei aktivierter Distronic das Symbol eines vorausfahrenden Autos angezeigt wird, weiss der Fahrer warum der Wagen verlangsamt. Oder wenn der Fahrer das Lenkrad loslässt, wir er akustisch gewarnt. Natürlich wollen wir den Fahrer nicht nerven, aber ihn informieren und kommunizieren, dass er mit dem Auto fährt und nicht umgekehrt.
Wie wirkt sich das auf die Intelligent-Drive-Systeme aus?
Es gibt Spurhalteassistenten von Mitbewerbern, die das Auto bombig und wie auf Schienen in der Spur halten. Viel besser als bei Mercedes, wo das Auto zwischen den Linien gehalten wird aber nicht zwingend mittig. Das ist aber tatsächlich so gewollt und so designt. Denn unsere Intention ist wie gesagt, dass der Fahrer nicht das Gefühl bekommt, es geht auch ohne ihn, der Fahrer soll merken, dass es ohne ihn eben nicht geht und er die Systeme jederzeit übersteuern kann und auch soll, wenn dies notwendig ist. Der Fahrer soll zusammen mit dem Fahrzeug ein gutes Team sein.
Die absichtliche Ungenauigkeit versteht nicht jeder…
Ja, besonders Journalisten (lacht), die austesten wollen, wie viel Level 3 kann das Level 2 Auto, dass gerade getestet wird. Das geht aber nicht, das ist eine komplett andere Herangehensweise an die Entwicklung, was das Auto allein machen soll und was der Fahrer machen muss. Da vergleicht man Äpfel mit Birnen. Wir glauben, wie wir es im Moment machen, im Level 2, bei dem das Fahrzeug eben nicht wie auf Schienen gelenkt wird, sondern ein Miteinander zwischen Auto und Fahrer herrscht, ist aktuell der sicherste Ansatz.
Wann rechnen Sie mit den nächsten Levels?
Bei den Levels muss man immer schauen, über welche Anwendungsfälle man spricht. Level 3 wird Mercedes zusammen mit BMW entwickeln, wie im Vorfeld zum Auto-Salon angekündigt wurde. Den ersten Schritt werden wir sehr sicher noch allein machen, die Weiterentwicklung werden wir dann zusammen mit BMW in Angriff nehmen. Wir haben immer gesagt, Level 3 kommt am Anfang der kommenden Dekade. Wir haben ja schon 2019, es wird also sicher nicht mehr lange gehen, definitiv keine fünf Jahre mehr.
Wie sieht es mit Level 4 aus?
Bei Level 4 kommt es darauf an, worüber wir reden. Ein Automated Valet-Parking, also ein Parkhaus, wo sie reinfahren, aussteigen und das Auto parkiert vollautomatisch während sie schon beim Kaffee oder im Meeting sitzen, ist per Definition auch automatisiertes Fahren Level 4. Allerdings in einem sehr begrenzten Anwendungsfeld. Solche Parkings sollten auch Anfang der 2020er-Jahre kommen. Etwas länger wird es dauern, bis es ein Level-4-System zum Fahren in einer Stadt geben wird. Da starten wir allerdings noch in diesem Jahr zusammen mit Bosch einen Piloten in San José, Kalifornien. Wie schnell wir die Systeme dann ausbauen können, hängt auch von den Städten ab, die mit den Systemanbietern Partnerschaften eingehen müssen. Natürlich schauen wir nicht nur in die USA, sondern auch nach Europa und China. Wir werden sicher auch da Pilotversuche starten. Unseres Erachtens wird es in wenigen Jahren, in definierten Bereichen einer Stadt fahrerlose Mitfahrservices geben, um von A nach B zu kommen.
Wann werden dann die nächsten Autonomie-Levels auch vom Gesetzgeber erlaubt?
Wir sind schon recht fortgeschritten mit der Technik. Es wäre allerdings vermessen zu sagen, wir müssten nur noch die Garage öffnen und los geht’s. Dass zuerst die Technologie entwickelt werden muss und diese erst danach reguliert wird, ist ein ganz normaler Prozess. Wir sind da absolut guter Dinge, die Behörden wollen ja das gleiche wie wir – ein sicheres System, mit dem man die Unfallzahlen nochmals reduzieren kann. Wir ziehen alle an einem Strang. Wenn die Systeme wirklich vollends soweit sind und wir mit den ersten Anwendungsfällen auf den Markt kommen, wird die Gesetzgebung auch die Türen öffnen.